Zu mir kommt er donnerstags
Ja, zu mir kommt er immer donnerstags, die weiteren fünf Wochentage verbringt er bei anderen Freundinnen. Er heißt Erich, und wenn ich gewusst hätte, dass er mit Nachnamen Raffelhöschen heißt, dann hätte ich mich wohl gar nicht erst mit ihm eingelassen. Raffelhöschen. Was für ein Name! Auch irgendwie feminin, denn es wäre wohl vorstellbar, wie man ein Damenhöschen runterraffelt, aber kaum, wie eine Herrenhose hochgeraffelt wird. Na, wie dem auch sei, ich sage ja Erich zu ihm und kann den Rest vergessen. Und seine Füße muss ich auch nicht ansehen, da sie zum Glück unter dem Tisch versteckt sind. Sie sind ein bisschen eklig, nackt in den unansehnlichen Riemchensandalen, dazu staubig und schmuddelig vom Anmarsch. Hingegen sein enormes Mitteilungsbedürfnis sehe ich nicht als Nachteil an, denn durch ihn habe ich nun nicht nur einen netten Bekanntenkreis, sondern ich weiß ständig, wie es den anderen geht, und was sie so machen. Dass er sein übersteigertes Redebedürfnis auf so viele verteilen muss hat seine Logik, einer alleine würde das gar nicht ertragen. Und so ergibt sich eine wohl abgerundete Situation, er kann reden, und wir hören einmal die Woche zu und erfahren was Neues. Persönlich habe ich noch keine der anderen Damen kennengelernt, und das wird vermutlich auch so bleiben, denn sie sind schon ziemlich häuslich, möchte ich mal sagen, alle sind wir nämlich recht alt, recht recht alt.
Also donnerstags so am späten Vormittag trudelt er regelmäßig ein. Dann setzen wir uns in die Küche, und ich beginne mit der Vorbereitung für das Mittagessen. Bei mir möchte er immer Kartoffelpuffer haben, die machen ihm seine anderen Damen nicht, weil sie mit der Hand reiben müssten. Ich hingegen habe eine tolle Küchenmaschine und keine Probleme mit der Herstellung. Er isst sie am liebsten mit Zucker oder auch mal mit Apfelmus. Weil mal ein paar Pilze vom Vortag weg mussten, mischte ich diese in den Teig, und er hat es gar nicht gemerkt. Von da an gab ich auch mal restliche weiße Bohnen oder Kichererbsen dazu, ohne dass das beanstandet wurde. Es entwickelte sich eine richtig nette Resteverwertung. Nur als ich mal einen etwas überständigen Matjeshering einmogelte, sagte er 'heute schmecken sie etwas different, es würden wohl statt Zucker besser Tomatenketchup oder süßer Senf passen'. Na gut, ich legte auch noch die Tube mit scharfem Meerrettich dazu, wenn schon, denn schon.
Und zwischendurch wurde ich mit allen Neuigkeiten versorgt. "Weißt Du, die Maria kann man ja kaum noch ertragen mit ihrer furchtbar gewöhnlichen Lache. So was von ordinär. Na ja, sie war mal Kneipenwirtin, wie kann es da anders sein. Da musste sie wohl mehr lachen als gewöhnliche Leute, um die Kunden an der Theke bei Laune zu halten. Und lauter, um alle übertönen zu können. Ich sage schon kaum noch was, das ein Lachen bewirken könnte, aber sie lacht auch einfach ohne Grund. Furchtbar.
Aber da sie recht gut kochen kann, muss ich das eben in Kauf nehmen. Gestern gab es etwas Tiefgefrorenes, sie sagte, es sei etwas ganz Besonderes, japanischer Kugelfisch, aber da hatte sie sich geirrt, in Wirklichkeit waren es Hühnerkeulchen. Ich merkte es gleich. Sie schmeckten nicht schlecht, aber die vielen Gräten! Immer die Angst, dass man sich daran verschluckt. Ich finde, wenn man es geschafft hat, bei den Schweinen die Speckschicht weg zu klonen, damit sie mehr mageres Fleisch haben, dann könnte man ja bei den Hühnerkeulchen auch mal die Gräten wegklonen. Was sollen die da drin. Aber sonst ist der Tag ganz gut gelaufen".
"Na prima. Und Helga?"
"Helga? Die ist immer so lieb und empfängt mich mit Küsschen, aber weißt Du, ich glaube, die hat schon manchmal nicht mehr alle Tassen im Schrank. Habe ich mich erschrocken, als sie die Tür aufmacht und dasteht mit leuchtend orange gefärbten Haaren, die stumpf und zipfelig um ihren Kopf standen. Sie drehte und wendete das Gebilde und lächelte kokett: 'ist das nicht süß? Da habe ich beim Aufräumen doch die Ostereierfarben gefunden von früher, als die Kinder noch klein waren, und das ist eine tolle Farbe. Die ist dauerhaft und nicht wieder rauszukriegen, ich habe es versucht. Viel besser als die teuren Haarfärbemittel, die bald nachlassen und ausbleichen. Ich habe auch noch grün und blau, die kommen als nächste dran, weil, das sind ganz aktuelle Farben. Habe ich in der Illustrierten gesehen'.
Ich meine, die sollten in den Zeitungen doch wenigstens dazuschreiben, dass auch die Mode ihre Altersgrenzen hat".
Das war auch meine Meinung. "Aber wirklich, da hast Du recht. Aber sie konnte ja noch nie etwas wegwerfen, wie Du mir mal erzählt hast. Na lass sie, wenn sie damit glücklich ist. Und Gerda?"
"Geh mir ab mit Gerda. War das peinlich. Die Schuld hatte der scheußliche Hund, dieser Riesenschnauzer. Wegen dem bleibt sogar ihr Ehemann in Deutschland und kommt nicht wieder. Schmuddelig und ungepflegt liegt der blöde Köter da auf dem alten Sessel rum wie ein richtiges Familienmitglied, und den ganzen Tag erzählt sie nur, was der Hund alles getan hat, und wie lieb er ihr ist. Dabei guckt er nur immer stur, und man fühlt sich ständig beobachtet. Als wir bei der Suppe waren, roch es mit einmal schlecht, und ich sagte: 'der Hund hat gepupst, es riecht schlecht', und da begann ein richtiges Streitgespräch, denn sie konterte: 'der hat nicht gepupst'. 'Aber ich habe doch so was gehört'. 'Dann hat er eben gepupst, aber das riecht nicht'. 'Aber es riecht doch ziemlich schlecht'. 'Aber nicht von dem Hund'. Da war ich dann erst mal still. Tatsächlich roch es anhaltend nach Gefürzeltem bei mir herum, und ich überlegte schon, ob ich was Falsches in mein Frühstücksmüsli getan hatte. Einmal hatte ich schon die kleinen Spielzeugfiguren drin, die es für die Kinder dazugibt. Es kam dann keine gute Stimmung mehr auf. Mal sehen, ob ich das noch lange aushalte, obwohl, sie plättet mir ja immer mein Sonntagshemd. Vielleicht sollte ich aber diesen Dienstag doch freimachen für eine gewisse Gudrun, die ich kürzlich im Supermarkt kennengelernt habe. Die stand vor mir in der Schlange bei der Kasse. Sie guckte auf meinen spärlichen Einkauf und fragte: 'leben Sie allein?', und ich sagte 'ja'. Dann hatte ich sofort Gewissensbisse. Konnte man sagen, dass man allein lebt, wenn man sechs feste Freundinnen hatte? Vielleicht hätte ich sagen müssen 'ich bin alleinstehend', denn nach dem Gesetz ist man ja wohl alleinstehend, wenn man nicht verheiratet ist. Und das bin ich ja nicht. Na, egal, als sie abgefertigt war, guckte sie sich nochmal um und sagte: 'wir sehen uns hier sicher mal wieder, ich heiße Gudrun'. Gudrun. Hübscher Name Gudrun. Sie war auch noch etwas jünger. Und wenn sie einen Hund hatte, dann war der bestimmt klein, süß und sauber, und pupste auch nicht. Ich muss sie mal fragen, ob sie gut bügeln kann, wegen dem Sonntagshemd."
Auch ich war begeistert von der Aussicht auf eine neue Freundin. "Da bin ich ja gespannt, wie sich das entwickelt. Wäre doch schön, wenn man mal wieder eine Neue kennenlernt. Man sollte bis ins hohe Alter immer das Interesse an den Mitmenschen wachhalten und sich an was Neues wagen, das hält den Geist munter. Frage sie dann gleich nach dem Verlauf ihres Lebens usw., man möchte doch wissen, mit wem man es zu tun hat. Und Gisela?"
"So nett, wie sie auch ist, war es doch nicht die reine Freude. Sie wird schon etwas vergesslich. Das Essen kriegt sie noch ganz gut hin, es gibt immer etwas feines Zusammengekochtes mit einem Schuss Rotwein dran. Den französischen Namen dafür hat sie wohl einem Reiseprospekt entnommen, denn mit Essen hat der nichts zu tun. Aber sie wollte schon immer etwas Besseres sein, und da musste das Essen auch einen französischen Namen haben. Als ich dann mal zur Toilette musste, war ich doch sehr überrascht. Der Klodeckel war total nass. Das fand ich recht unangenehm und auch unpassend und tröpfelte dann absichtlich etwas daneben. Als ich ihr sagte, dass der Klodeckel nass war, sagte sie: 'ach, das ist weiter nichts, ich habe nur vergessen, den Deckel aufzumachen und mich draufgesetzt, als ich mal pinkeln musste. Meine Hosen waren auch nass'. Was sagst Du dazu?"
Was sollte ich dazu sagen? Die Wahrheit. "Wir sind eben alle nicht mehr die Jüngsten, und man muss schon viel Geduld mit uns haben".
"Ja, und dann sagte sie noch: 'Du könntest doch auch noch sonnabends kommen, zweimal die Woche wäre doch auch ganz nett'. Aber da habe ich gleich abgesagt. Nein, nein, sonnabends bin ich bei Renate, und das möchte ich mir nicht entgehen lassen. Die ist die Einzige, die noch ein Auto hat und mich damit ein bisschen herumfährt. Das möchte ich wirklich nicht missen. Sie ist auch die Einzige, die noch Sport treibt. Sie hat die alte Angel von ihrem verstorbenen Mann gefunden, ist damit ans Meer gefahren und hat die Schnur ins Wasser gehalten. Ich war natürlich neugierig, ob etwas angebissen hatte, vielleicht gab es dann mal Fisch. Aber sie sagte: 'nein, hat keiner angebissen'. 'Hattest Du denn einen guten Köder dran?' 'Nein, ich hatte keinen Köder dran, ist da nicht nötig'. 'Ach, wie denn das?' 'Na, ich habe doch die Angler neben mir beobachtet, die hatten alle Köder dran, und kein Fisch hat angebissen. Da brauchte ich doch erst gar keinen dranzumachen'. Ja, die ist eben richtig intelligent. Sie fand das Angeln sehr schön und wird es bald wieder einmal machen".
"Aber Du hättest doch für die Gisela noch den Sonntag frei, wenn sie durchaus will".
"Um Gottes Willen! Lass mir meinen Sonntag! Den brauche ich so dringend zur Erholung von der anstrengenden Woche. Das kommt doch einer ausgesprochenen Schwerarbeit gleich, ständig auf Achse, bei jeder Freundin verständnisvoll teilnehmend am Verlauf ihrer Tage, und jeder von all den anderen berichtend, damit der Kontakt immer frisch und aktuell bleibt. Das kostet vielleicht Konzentration. Dazu muss ich allerdings erwähnen, dass ich möglicherweise mal die Erlebnisse und Personen verwechsle, denn mein Gedächtnis ist wohl doch schon etwas überfordert mit all den Begebenheiten. Betonen möchte ich, dass ich Euch alle sehr lieb habe, auch mit kleineren oder größeren Schrullen, und bei Dir bin ich immer besonders gerne, denn Du bist eine gute Zuhörerin, und das brauche ich einfach persönlich bei meinem großen Mitteilungsbedürfnis, da bist Du einfach die Beste, Inge".
Inge? Wieso Inge? Ich heiße doch ganz anders. Doch nicht Inge. Da musste ich ihm wohl glauben, dass er die Personen mal verwechselte. Aber Inge? War doch gar keiner aus unserer Gruppe. Vielleicht holte ihn die Vergangenheit manchmal ein. Schade, ich wäre nun auch gespannt, was er den anderen über mich so erzählt. Möglicherweise etwas ganz Falsches. Na, macht ja nichts, die Hauptsache ist doch, wir haben alle unsere Unterhaltung, und sei es mit dem Schicksal der anderen, selbst wenn es nicht ganz stimmt. Wir ließen uns durch ihn auch immer alle grüßen und unsere gute Freundschaft beteuern. Wir sind eben ein netter Kreis.
"Ja, nun muss ich los, der Bus wartet nicht. Danke für alles und bis zum nächsten Freitag!"
Ich denke, mich trifft der Schlag. Was soll das denn nun? Wieso Freitag? Ist er nun etwas mehr verrückt, als ich dachte, oder bin ich total durcheinander? Das darf doch nicht wahr sein! Freitag! Hieß ich vielleicht doch Inge? Und heute war gar nicht Donnerstag?!
Und HIER geht es zur nächsten Dähncke
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