Die Sache mit der Automatik (kein Krimi)
Wir brauchten dringend einen neuen Kühlschrank mit Gefrierfach. Ohne diesen hätten wir zwar existieren können, doch wäre ich nicht in der Lage gewesen, die vielen Versuche für meine
Kochbücher durchzuführen. Wir hatten schon feste Vorstellungen von Form, Farbe,
Fassungsvermögen usw., aber davon mussten wir uns sehr schnell trennen, denn für unsere
Verhältnisse ohne Strom im Haus gab es nur ein einziges Modell, das mit Flaschengas betrieben
werden konnte. Der Preis war hoch: DM 2500,-. Die Typenbezeichnung "Automatic Defrost"
wie auch der Prospekt versprachen ein automatisches Abtauen der Kühlfächer.
Davon merkten wir allerdings wenig, und da ich recht geduldig bin, dachte ich mir, vielleicht
müsse er sich erst eingewöhnen, und taute ihn zunächst von Hand ab, wenn er vereist war. Dabei fingen die Naturdärme, die ich fürs Schweineschlachten brauchte und gefroren aufbewahrte, schlecht zu riechen an. Nach erneutem Einfrieren gab sich das wieder. Als aber nach wenigen Tagen die Lamellen immer wieder dick vereist waren, und der Kühlschrank auch auf höchster Stufe kaum noch kühlte, fand ich, so könne es eigentlich nicht weitergehen; nicht bei dem Preis.
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Noch vor Ablauf der einjährigen Garantie bestand ich auf Reparatur durch das
Elektro-Spezialgeschäft unserer Hauptstadt, das den Kühlschrank geliefert hatte. Ein mürrischer
junger Mann fuhr mit seinem Auto vor und forderte, noch ehe er einen Blick auf das Objekt
geworfen hatte, dass sämtlicher Inhalt ausgeräumt werden müsse. Ich hatte tüchtig zu tun,
während er mit verschränkten Armen dabei stand und wartete. Alles Gefrorene packte ich in eine
große Wanne und isolierte sie, so gut es in der Eile ging, mit Handtüchern und Decken.
Trotzdem fingen die Därme bald wieder zu riechen an, wie Därme nun einmal riechen, selbst
wenn der Inhalt längst vergessen ist. Der junge Mann schob den Kühlschrank etwas von der
Wand ab, entfernte ein paar Teile, zerlegte von seinen Innereien einiges und machte etwas Dreck.
Er erklärte mir, er habe irgend einen Kanal von Rückständen gereinigt, was schon längst fällig
gewesen wäre. Ich fand das sehr befremdend, dass an einem teuren Modell keine einfache
Reinigung durch den Besitzer selbst möglich war, sondern jedes mal der Kundendienst kommen
musste. Er verlange 3o Mark und ich packte alles wieder ein. Einiges war angetaut, und da
Lebensmittel nach dem Auftauen keinesfalls wieder eingefroren werden dürfen, gab es bei uns zu
jeder Mahlzeit Hasenpastete, Bienenstich und Steinpilze. Die zerlaufene Eiscreme - in mehreren
Geschmacksrichtungen - mussten wir sofort verspeisen. Die Därme fror ich jedoch wieder ein.
Ich brauchte sie später unbedingt, und sie mussten ja auch nicht gegessen werden.
Der Kühlschrank taute nun nicht etwa automatisch ab. Der junge Mann kam wieder. Das
Programm begann von Neuem mit völliger Entleerung. Nach einer 'fachmännischen'
Besichtigung sagte er knapp: "Der kann ja nicht abtauen, er steht nicht waagerecht." Zum Glück
hatten wir eine Wasserwaage, denn seine eigene Ausrüstung bestand nur aus einer kleinen
schwarzen Ledertasche am Handriemen, in welcher sich Schreibstift und Rechnung befanden.
Mit Pappe, kleinen Münzen, Korkresten und Ähnlichem brachte er den Kühlschrank in die
richtige Lage. Wir bezahlten und aßen tagelang die diesmal angetauten Kostbarkeiten des
Gefrierfachs.
Der Kühlschrank taute auch danach nicht automatisch ab. Der junge Mann war derselbe wie
immer. Man merkte ihm an, dass er nun bald ungeduldig wurde und wir ihm lästig waren mit
unserer ewigen Nörgelei an der Automatic. Meine eigene Funktion wurde jedes mal besser, jetzt
packte ich schon automatisch alles aus ohne besondere Aufforderung. Ein kurzer Blick und er
meinte: "Am Kühlschrank fehlen die Beine, er kann ja nicht abtauen." Wir hatten die kleinen
Gummiklötzchen lose mitgeliefert bekommen, falls wir den Kühlschrank mit Beinen schöner
fänden. Glücklicherweise hatten wir auch passende Schrauben und vor allem einen
Schraubenzieher, in Sachen Handwerkzeug war der junge Spezialist ja völlig unbelastet.
Kostbarkeiten, die später für die Kochbuchfotos gebraucht werden sollten, mussten aufgegessen
werden, und die Därme stanken schon zum x-ten Mal. In mir glimmte kräftige Wut.
Als der Kühlschrank auch jetzt nicht automatisch abtaute, ließen wir den jungen Mann nicht
wiederkommen. Sabine suchte den Chef persönlich auf und machte ihm klar, dass es so nicht
weiterginge. Sie übersetzte ihm die mitgelieferte Gebrauchsanweisung aus dem Englischen ins
Spanische, und er staunte, dass es so etwas wie ein automatisches Abtauen gab. Er konnte selbst
nicht glauben, dass das funktioniert.
Den chronologischen Ablauf der nächsten zwei Jahre erspare ich dem Leser, er würde ihn
langweilen, denn es blieb alles beim alten. Ich taute stets von Hand ab und fror nichts Wertvolles
mehr ein. Der Geschäftsführer der Elektrofirma war ständig auf Urlaub, krank oder nicht da. Wir
gaben die Briefe im Geschäft ab, schickten auch welche per Einschreiben und stellten schließlich
den Termin für eine Regelung. Wir hatten den Rechtsanwalt eingeschaltet. Laut diesem musste
der Geschäftsführer irgend etwas unternehmen, um seine Gutwilligkeit zu einer Regelung zu
zeigen, danach war er für nichts mehr haftbar zu machen. Schönes Gesetz das. Wir waren sehr
gespannt, wie er sich aus der Affäre ziehen würde, denn bisher hatten wir an ihm kein Interesse
oder gar guten Willen entdeckt, uns wirklich zufriedenzustellen. So schickte er uns also eines
Tages einen nicht bei ihm angestellten, sondern selbständigen Überspezialisten in Elektrodingen.
Wir kannten ihn schon von einer Waschmaschinenreparatur her, bei der ihm fast alle Schrauben
ins Maschineninnere gefallen waren, die dann bei späteren Waschgängen Stück für Stück in
Socken, Büstenhaltern, Windeln, Käsebeuteln usw. wieder zum Vorschein kamen. Wir brauchten
den Kühlschrank nicht einmal zu entleeren. Er war sehr kräftig und schob ihn von der Wand ab.
Er fasste ein paar außen verlaufende Röhrchen an, klopfte an etwas Hohlklingendem, wackelte
mit etwas Beweglichem und sagte: "Der kann ja gar nicht abtauen, er hat keine Vorrichtung
dafür." Er nahm nicht einmal Geld. Danach war dem Spezialgeschäft nicht mehr beizukommen.
Das war's also. Unser automatisch 'defrostende' Kühlschrank einer Weltfirma hatte keine
Abtauvorrichtung. Gerade unser. Vielleicht als einziger auf der Welt.
Später kam es noch schlimmer. Der Kühlschrank entwickelte die Unart, einmal am Tage ganz
furchtbar und undefinierbar nach heißem Staub, schmelzendem Bakelit oder so zu riechen. Wir
verließen jedes mal fluchtartig das Haus, denn irgendwie roch es auch nach bevorstehender
Explosion. Ein in allen Dingen sehr findiger deutscher Freund schaute dann unseren
Problem-Kühlschrank auch einmal von hinten an und zeigte uns an zwei Stellen dicke Ballen von
hervorquellender zähelastischer, klebriger, schwarzer Masse, ähnlich vermanschtem Knetgummi.
Wir wunderten uns über gar nichts mehr. Das heißt, jetzt wundern wir uns nur noch: seit er
stinkt und hinten dickes scheußliches Zeug hervorquillt, taut er nämlich täglich einmal
automatisch ab.
Sie sehen, dass hier vieles unmöglich ist, aber völlig Unmögliches sich ganz von selbst regelt.
Auf unseren zusätzlichen ganz primitiven 'Kühlschrank' war hingegen immer Verlass. Er war als kleiner Anbau an der Nordseite des Hauses angebracht und wurde durch die Nord-Ostbrise gekühlt, deren Pünktlichkeit man fest einkalkulieren konnte. Verschließen war nicht nötig, es gab keine bösen Räuber.
Und HIER geht es zur nächsten Dähncke
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