Gastbeiträge von Rose Marie Dähncke

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Die Liebe macht nicht immer blind


Sie war fleißig als Sekretärin, sie war zu allen nett und daher beliebt, sie war Anfang fünfzig und immer noch sehr naiv, was ich bis dahin nicht so gemerkt hatte. Sie hieß Ingeluder, aber das war nicht ihr Verschulden, und sie war eigentlich auch keins.

Manchmal kam sie mich besuchen, ruinierte sich mindestens etwas ihre entzückenden Stadtschuhchen mit den hohen spitzen Absätzen in den rustikalen Kieswegen meines Parks, weshalb sie auch jedes mal jammerte und nicht so oft kam. Aber jeder Mensch braucht ab und zu bei den tiefsten Tiefpunkten und den höchsten Höhepunkten, die uns vom Leben so beschert werden, einen geduldigen Zuhörer, lass es auch etwas Fußbekleidung kosten. Das derzeitige Erlebnis ließ sie das Schuhproblem völlig vergessen, denn es handelte sich um einen außergewöhnlichen Höhepunkt, einen allerhöchsten, zumindest zeitweise.

Ich sah Ingeluder an einem Dienstag Nachmittag langsam meinen Parkweg herauffahren und ging ihr ein Stück entgegen. Sie parkte wie immer schlecht, denn sie war nun mal keine große Parkerin, guckte schnell noch einmal in den Rückspiegel, ob die geblondeten Locken jede an ihrem Platz saß oder stand, mit modernem Festiger ohne Tadel und unverrückbar zur Vollendung verurteilt. Ich erwartete sie an der Parkplatztreppe, und sie versah mich schon aus dem Auto heraus mit dem normalen Blick, wie man Leute eben so ansieht. Aber dann der große Auftritt: mit dem Öffnen der Autotür und dem ersten koketten Herausstecken des Kopfes wurde automatisch das Licht in ihren bläulichen Augen angeknipst, und nicht nur trübes Standlicht, nein, gebündelte Scheinwerfer leuchteten auf, und ein charmantes Lächeln schräg auf die roten Lippen gezaubert. Mit ganz neuer hoher Stimme trällerte sie schon von weitem: "Oh, Rose Marie, wie geht's, wie steht's. Weißt Du schon das Neueste, ich glaube, ich bin verliebt!"

Das schien ihr gut zu bekommen, denn sie sah fast ein paar Wochen jünger aus.

Auf "wie geht's, wie steht's" brauchte ich schon nicht mehr zu antworten, die Fragen waren bereits vom Neuesten überholt und wohl auch nicht so ernst gemeint. Außerdem ging es mir ganz gut, ich konnte nicht klagen, aber wie ging es ihr?

"Nun komm mal erst herein. Wir trinken einen guten Kaffee zusammen, und du erzählst mir alles schön der Reihe nach". Das war ja wohl, was sie wollte und auch der Anlass ihres Besuches. Von Kaffee wollte sie nichts wissen, nur eine Zigarette rauchen und dann wieder weg. "Ja, also stell dir vor, da war doch gestern im Hafen ein deutsches Schiff angemeldet mit großer Besatzung, vielen Offizieren und einem Kapitän, versteht sich. Sie hatten schon von See her telefoniert und gebeten, dass ihnen während der drei Tage Landaufenthalt ein wenig Abwechslung geboten wird. Da habe ich ein paar Freundinnen aufgetrieben, und wir haben alle zusammen einen schönen Abend gehabt. Und du glaubst es nicht, der Kapitän hat sich doch sofort in mich verliebt! Er wollte auch gleich mit mir ins Bett, ich konnte mich aber nicht so schnell entschließen. Aber ist das nicht ein tolles Kompliment für mich?! Auf den ersten Blick verliebt!"

Ach, du liebes Lottchen! Sollte ich nun begeistert sein, wo ich so meine Zweifel an den Absichten des Herrn Kapitän hatte? Am besten beides mischen: "Ja, toll, und du hast ihm auch alles geglaubt mit dem Verliebtsein und so?"

"Ja, natürlich, du hättest ihn sehen sollen. Er nahm mich mit seinen starken Armen regelrecht in die Mangel und drückte mich an sich und sagte, das wäre ihm noch nie passiert, dass er sich so in eine Frau verliebt habe, in seinem ganzen Leben noch nicht, und das im ersten Augenblick. Das kann er mir doch nicht vorschwindeln, nicht wahr?"

Pause. War ich nun schon wieder dran? "Na, das ist dann ja das ganz große Glück. Und wie geht es nun weiter?"

Etwas kläglicher wurde die Stimme, etwas kränklich die Mine. Erste voreheliche Probleme warfen ihre Schatten voraus. "Na ja, zuerst muss er noch mal zu seiner Frau nach Hamburg zurück. Aber sie verstehen sich nicht, leben seit langem nicht wie Mann und Frau zusammen. Ohne mich will er aber nicht mehr sein, hat er gesagt. Ich bin ganz durcheinander. So viele Gefühlswallungen so plötzlich."

Ja, du armes Ingeluderchen, bist mitten in die Liebeslebenwirbel geraten, kannst weder schwimmen noch die Augen richtig aufmachen, und das in deinem Alter. Ein Blick von ihr auf die Uhr, ein Schreck, Zigarette ausgedrückt. "Ich muss weg, ist ja schon fünf Uhr, und heute Abend gehen wir zusammen essen."

Hurtig, hurtig sprang sie von dannen, hinein ins Auto, löschte das Lächeln und auch das Licht in ihren Augen und war in Gedanken schon weit weg. Sie nahm beim Zurücksetzen noch rasch die Steineinfassung mit, was aber nur ihrem Auto schadete. Und weg war sie. War ich schon so alt oder gar aus dem Verkehr gezogen, dass ich nur mit dem Kopf schütteln konnte? Jedenfalls tat ich es, milde nachsichtig lächelnd.

Am nächsten Tag zur gleichen Stunde war sie wieder da: Licht an, Lächeln drauf, über die Steinchen tänzeln, kleine Schreie ausstoßen. Sie war schon wieder etwas jünger geworden und hoffentlich nicht noch törichter. "Du, ich komme gar nicht erst ins Haus. Ich wollte dir nur schnell berichten, wie es gestern war, weil du doch sicher sehr gespannt bist. Also wir waren im Feinsten, im Parador-Restaurant. Die Bedienung ist da international geschult und einzigartig, sogar das Rührei wird tranchiert. Ich musste viel Sekt trinken, während er sich nobel zurückhielt. Aber er ist, das muss man ihm lassen, ein großer Charmeur. Er hat mir vielleicht zugesetzt, du kannst es dir nicht vorstellen. Ich habe immer nur gelacht, das hat ihn nur noch verrückter gemacht, und er hat mich allen Mitteln gedrängt, die Nacht mit ihm zu verbringen. Und ich so angetütelt vom vielen Sekt! Aber im letzten Moment konnte ich ihm doch noch entwischen. Aber das Tollste kommt noch! Das hast du bestimmt noch nicht erlebt: sah ich doch heute Morgen hinter meinem Scheibenwischer ein Zettelchen, von ihm natürlich, und weißt du, was darauf stand? Nein, kannst du ja nicht wissen. Da stand drauf: Hat dir heute schon jemand gesagt, wie schön du bist?"

Erschreckt guckte ich sie mir daraufhin genauer an. Der Puder war in den Mimikfalten weggeplatzt, das Lippenrouge sternförmig in kleine Furchen entgleist, der Lidschatten allerdings war ein Wunderwerk in Silber und Türkis; alles in allem.....wenn jemand diesen Geschmack..... oder im Sinn hat.....vielleicht nicht gut sieht..... Meine Gedanken waren total ins Schleudern gekommen. Sie deutete es anders: "Ich sehe es dir an, du bist ganz baff. Das hast du eben noch nicht erlebt. Aber es ist ein tolles Gefühl. Ich finde mich selbst gleich viel schöner, viel selbstbewusster, vielmehr Frau." Sie straffte hübsch den Hals, drehte und wendete das Köpfchen mit den festsitzenden Locken und lächelte fesch über die linke Schulter, obwohl in dieser Richtung nur einer meiner hundertjährigen Kastanienbäume stand.

Es ist doch wirklich erstaunlich, wie ein kleines Zettelchen zur rechten Zeit mit den rechten - nicht etwa echten - Worten die Persönlichkeit verändern kann, in diesem Falle durchaus vorteilhaft. Man sollte gelangweilte Jungens oder Arbeitslose herumschicken mit solchen Überraschungszetteln, um möglichst viele Menschen zu beglücken.

Nachdem sie sich unter den Zwängen ihrer wiederentdeckten Schönheit lahmgelächelt hatte, schaltete sie wieder alles Mimische ab und verabschiedete sich hastig: "Muss los, hab's eilig, heute ist ja unser letzter Abend. Ich komme dann morgen, um dir alles zu erzählen." "Viel Glück" sagte ich ganz klein. War ich vielleicht froh, dass ich ich war und das nicht durchmachen musste.

Am nächsten Tag kam sie dann auch, aber ganz anders als gewohnt. Ein bisschen witwig, als hätte sie Wertvolles verloren, philosophisch vergeistigt, wie nach tiefsinniger Gefühlswäsche, gebeugt von schwerwiegenden Entscheidungen, kurzum eher graue Maus an einem tristen Tage. Sie bewegte sich wieder normal und langsam, die Augen müde Glühwürmchen, das Lächeln leidgeprüft. Ich empfing sie sehr lieb, weil ich sah, dass sie es nötig hatte: "Nun komm und erzähle, ich kann es gar nicht mehr abwarten."

Mit der ersten Zigarette erleichterte sie sich dann nach und nach. Nicht wie gestern noch quirlig sprudelnd, sondern mit einer getragenen Begeisterung, die etwa in die Mollgegend gerutscht war: "Weißt du, es war wieder ein ganz wundervoller Abend. Zuerst waren wir essen, und danach gingen wir in die Bar, und die ganze Zeit hat er mir immer nur gesagt, wie sehr er mich mag, und dass er nun endlich mit mir ins Bett will. Ich sei die erste Frau, in die er sich richtig verliebt hat, und das, obwohl er schon 59 ist und viel in der Welt herumgekommen. Er bedrängte mich leidenschaftlich, weil es ja auch unsere letzte Nacht war." Sie machte eine lange Pause, und ich hatte das Gefühl, dass sie all die herrlichen Situationen der vergangenen Nacht noch einmal durchlebte, und genoss, die dumme Pute. Wie er schmuste, wie er sie drückte und knetete, mit Komplimenten reif machte, sie mit Sekt füllte und im feinsten Restaurant mästete, damit sie endlich ins Bett fiele. Nur sah sie das bestimmt alles ganz anders, einmalig, hinreißend, persönlich auf ihre Person zugeschnitten, vom Schicksal natürlich.

Nachdem ich ihr genügend Freilauf für ihre törichten Illusionen gelassen hatte, trat ich kurz und kräftig in die Pedale: "Und im Bett?"

Sie wand sich und wrang die Hände, seufzte schwer, setzte zur Rede an und wieder ab. Und wie ein Korken mit zu viel Druck aus der Flasche knallt, stieß sie dann hervor: "Da war nichts! Ich wollte nicht." Sie guckte beschämt in ihren Schoss, der nicht sehr rein war aber diesmal aus irgend einem Grunde standhaft.

"Aber Ingeluder!" - War sie vielleicht doch eines, und ich habe es nicht gewusst? - "Wie konntest du ihn denn nun abweisen, und wie konntest du selbst widerstehen? Du liebst ihn doch so sehr und er dich, das ist doch eine Situation...."

"Ach, das verstehst du nicht, es war nicht so einfach, aber ich konnte einfach nicht." Nun kamen mir schwere Bedenken, sie würde mir eine ganz umfassende Sex-Problematik aufladen. Wie sollte ich nur dieses Thema elegant, schmerzlos (für mich natürlich) und zeitsparend hinter mich bringen? Am besten vielleicht im rohen Angriff: "Na gut, aber nach drei Tagen Turteln, aufreizendem Lachen, ständiger Liebesbeweise, sich drücken und verwöhnen lassen........ das hättest du dir doch eher überlegen können."

Sie versteckte sich hinter ein paar kleinen belanglosen Antworten, und ich wühlte jedes mal ein wenig tiefer. So zappelten wir immer drum herum ums Finale, das mich nun langsam zu interessieren begann. Aber endlich hatte ich sie dann weich, windelweich und willig. Sie wusste wohl auch, dass sie es einmal loswerden musste, zu eigenem Trost und Aufrichtung ihres seelischen Friedens. "Aber erst muss ich mir eine Zigarette anstecken, und einen Cognac könntest du mir auch geben."

Gut, das war nicht zu viel verlangt, wenn das Schicksal zuzuschlagen versprach.

"Ja, wie soll ich es dir erklären. Also ich war schon zutiefst gerührt von seiner großen Liebe, von seinen Aufmerksamkeiten, von seiner Leidenschaft, und ich begehrte ihn eigentlich auch, aber ich konnte mich einfach nicht überwinden. Ich konnte nicht, es war mir unmöglich. Weißt Du, er sah genau so aus....., na ja, ich kann es dir ja sagen, schließlich ist ja auch nichts dabei, also er sah genau so aus wie MEISTER PROPER.




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