Caza controlada
Die Palmeros sind begeisterte Jäger, das heißt, es jagen nur Männer, die Damen werden nicht gefragt, ob sie auch einmal ins Revier gehen möchten, von Diana wurde nie etwas gehört.
Die ausgleichende Gerechtigkeit beschert ihnen deshalb auch nur Kaninchen und nichts weiter. Es gibt kein Hochwild wie Hirsche, Rehe, Damwild, kein Großwild wie Löwen, Tiger, Elefanten, keine Bären, Springböcke, Giraffen, Kängurus, keine Wildschweine und auch keine Krokodile. Aber warum zähle ich alles auf, was es nicht gibt; sie können mir glauben, es gibt tatsächlich nur Kaninchen. Na ja, noch ein paar Eidechsen, aber die sind geschützt, weil sie den noch geschützteren Greifvögeln als Nahrung dienen. Kurz und gut, man kann nur Kaninchen schießen und das ab 15. Juli, donnerstags und sonntags. Aber dann begegnet man auch überall den Jägern, in Weinhängen, im steilen wilden Gebiet entlang der Meeresküste, in den Wäldern, auf den Gipfeln, im Hafen und auch in den belebten
Straßen unserer Hauptstadt. Sie werden sehen!!
Die Jäger genießen ihren Sport natürlich nicht allein, nein, sie jagen in Gruppen von fünf, sechs
Mann, man will ja mit seinen Freunden zusammen sein und ein bisschen Spaß haben. Auch
Hunde laufen mit, eine Art Windhund, sehr schlank, überschlank, fast durchscheinend, so dass
die unbedarften Touristen abfällig bemerken, die Leute gingen hier sehr schlecht mit ihren Tieren
um und ließen sie verhungern. Ich habe mich im Laufe der Jahre an den Anblick dieser Hunde
gewöhnt, mir kommen sie einfach vor wie hochbeinige Ameisen.
Ja, und dann gehört sehr viel Geschreie zur Jagd, denn den Kaninchen muss man irgendwie
Angst machen, den Hunden die Befehle zuschreien und untereinander Mitteilungen austauschen
über weite Entfernungen hinweg. Da hallt die Insel, und knallt auch manchmal, wenn endlich der
gezielte Schuss fällt. Laufe ich den Jägern bei meinen Pilzausflügen in die Arme, rufe ich schon
von weitem "ich bin kein Kaninchen", auf spanisch natürlich, damit sie mich auch verstehen.
Die Jäger sind ja bekanntlich sehr eigen mit der Abgrenzung ihres Reviers, und Freveln ist ein
hässlicher Begriff. Er hat nicht selten zum Tode geführt, nicht nur des Frevlers sondern auch des
Jägers selbst, wenn er eigensinnig auf seinem Standpunkt beharrte. Ganghofer und Kollegen
können ein Lied davon singen. Und dieses Revierabstecken ist nun etwas, das schon bis hierher
vorgedrungen ist; dem möchte man nicht nachstehen und auch etwas für´s Prestige tun, und so
findet man neuerdings hier und dort im bejagbaren Gelände auf einem großen Stein, einem Rest
Befestigungsmauer oder wo immer sich eine einigermaßen glatte Fläche anbietet, mit weißer
oder schwarzer Farbe und grobem Pinsel geschrieben: 'Caza controlada', was so viel wie
'Kontrolliertes Jagdrevier' heißt. Man nimmt es nach Palmero-Mentalität jedoch nicht so
furchtbar genau mit der Einhaltung der Markierung, eher freundschaftlich-nachbarlich, und man
ist ja auch mit fast allen verwandt.
Und genau dieses 'Caza controlada' ist nun groß und deutlich und nicht übersehbar - was ja schließlich Sinn der Sache ist - auch an die Wand des Verkehrstunnels geschrieben, der in das Zentrum von Santa Cruz führt, unserer Inselhauptstadt. Auch außerhalb des Tunnels ist schon Stadtgebiet, aber hat man ihn durchfahren befindet man sich sofort auf der neuen Prachtstraße mit Palmen, Hibiskus und Oleander geschmückt und den wichtigsten Ämtern bestückt. Links haben wir das neue Steueramt, die Zollbehörde und das Marinepräsidium, rechts gegenüber den Club Nautico mit Schwimmbad, Restaurant und Bar, der Club der oberen Zehntausend, wenn wir so viele hätten. Es kommen Hauptpost - man kann auch einfach Post dazu sagen, da es keine weitere gibt - und der moderne Springbrunnen. Die dummen Touristen fragen doch tatsächlich "was stellt diese Ruine dar, die vor der Post?", weil der Brunnen weder springt noch irgend ein Wässerchen zu sehen ist. Es war das Geschenk eines unserer großen Geldinstitute und hat ein Vermögen gekostet. Der Brunnen sprang - wenn er sprang - in immer wechselnden Formen und Anordnungen der verschiedenen Wasserstrahle, er wurde nachts von unten-innen-drinnen her beleuchtet in wechselnden Farben und rhythmischem Auf- und Abblenden, es war ein Kunstwerk, und sehr teuer. Dann aber durfte die Beleuchtung nicht mehr eingeschaltet werden, weil die Strahlen die Beobachtungen der Observatorien auf dem höchsten Gipfel störten. Bald auch wurde das Wasser abgestellt, und nur durch Zufall sah man ihn einmal am Sonntagabend springen. Ich nutzte den Besuch der gesamten europäischen Könige zur Einweihung eines besonderen Observatoriums auf La Palma, um ihn dann endlich einmal zu filmen, denn an diesen Tagen sprang er. (H e u t e sind dort drei Palmen gepflanzt. Die kostbare, prächtige Ruine aus wunderbarem Marmor verschwand von heute auf morgen, nachdem Denkmalsschützer monierten, dieses moderne Ungeheuer würde die Sicht auf die antike Hauptpost stören.) Dort kommen dann Rundverkehr und Hafen, die Haupt- und Nebenstraßen des Stadtzentrums, Gässchen und Plätze mit Geschäften und Freiluft-Cafés.
Und hier vermutet man Kaninchen? Lebende?
Und hier hat man sich also das Revier gesichert, will man mit den Hunden durch Menschenmengen jagen, brüllen und rempeln und mit den Gewehren rumfuchteln? H i l f e ! Wie leicht könnte es Tote geben. Wenn ich mal nach Santa Cruz runterfahre, tatsächlich einen Parkplatz finde und somit auch dableiben kann, wittere ich immer erst sehr vorsichtig mit dem Wind und auch dagegen, ob die Jagd heute im Gange ist oder nicht. Wie gefährlich lebt man doch, und das zum Vergnügen nur einiger weniger Privilegierter.
Manchmal kommen mir jetzt Zweifel, ob ich das wohl alles ganz falsch sehe. Ob die Farbe zu gut und wetterbeständig ist, und die Jagdreservierung vielleicht aus der Zeit stammt, als die Stadt noch leerer war, Steuereinziehung nicht durch ein eigenes Amt geschah, der Zoll sich bescheiden zurückhielt, das Marinepräsidium weder gebraucht wurde noch existierte, der Club Nautico noch keine 300,- DM im Jahr kostete und daher die Mitglieder weniger kostbar waren. Damals war auch der Hafen noch nicht so stark frequentiert, so dass sich schon einmal ein Kaninchen hinter den Bananenkisten verstecken konnte.
Oder könnte man die Sache noch ganz anders betrachten? Unter völlig neuen Aspekten? Mit Tieren gar nichts mehr zu tun habend sondern mit Menschen? Und die Jäger sind keine Karnickeljäger sondern, milde ausgedrückt, Schürzenjäger. Und die Damen, für die das Revier gesichert wurde, tragen alles andere als eine Schürze, oder wenn doch, ein Reizmodell und nichts darunter.
Ja, könnte man es eventuell auch so betrachten, so harmlos (kaninchenmäßig gesehen)? Dann würde es, wie schön, auch so schnell keine Toten geben, eher im Gegenteil.
Und HIER geht es zur nächsten Dähncke
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