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Carlo         


DEM


              


XVII. Teil, Breña Alta Eine kurze Zeit davor...

Die nachfolgende Geschichte ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit anderen Berichten oder Erzählungen ist rein zufällig. Gleiches gilt für die verwendeten Namen, Bezeichnungen, Techniken und geografischen Orte. - Texte und Bilder unterliegen dem Copyright


Auf dem Weg zum Institut für empirische Chaosforschung begegnete mir Steven. In der schummerigen Beleuchtung konnte ich ihn eher durch seine typischen Bewegungen ausmachen, als dass ich ihn erkennen konnte. Ich blieb unter einer Laterne stehen, und er kam auf mich zu. Wie üblich in einer grauen Jogging-Montur, aber das wusste ich, ohne es zu sehen. Homogener Natrium-Dampf-Schimmer drang durch das Laub der Bäume. Ich hatte mich an das Parallelbewusstsein gewöhnt und sah nichts Ungewöhnliches in der Differenz zwischen der Wahrnehmung meiner Sinne und dem induzierten Bild aus meinem Gedächtnis. Ein wenig begann ich wohl damit, mich meinem virtuellen Partner DEM anzugleichen. Ich lachte in mich hinein über den Gedankengang und wandte mich wieder nach außen. Steven sah mich aus einem gelben Gesicht an: "Wir haben ihn abgeschaltet!"

Die Worte trugen seine Erregung - war die Schöpfung beendet?!

"Was du nicht sagst" vernahm ich mich selbst, und wir wandten uns, ohne weitere Worte zu verlieren, seinem Labor zu. Wir wussten, das ist der Weg. Oft genug habe ich mich über dieses Verhalten aus einem kollektiven Bewusstsein gewundert und mich über eine jahrelange Erforschung von Aufzeichnungen über Ereignisse in Starenschwärmen zu meinen aktuellen Studien bewegt. Steven ging langsamer. Ich trotzte seinem Zögern und lief durch die Erkennung zum Operatorraum. Die Tür riss auf. Leblosigkeit lastete auf allem: Sinnlose Anzeigen auf hohlen Displays vor erstarrt wirkenden bläulich gekleideten. Operatoren in ihren Schwenksesseln. An der Stirnseite herrschte immer noch das riesige Display mit dem Inneren des Autoklaven-Bunkers in der San Borondón - gut einige tausend Meter unter der Meeresoberfläche.

"Bist du dir sicher, dass sich da unten nichts mehr tut", hörte ich mich laut denken. Steven war neben mich getreten, und eigentlich war seine Antwort überflüssig. Sein Nein kam kaum hörbar über die Lippen. Wir beide ahnten, was sich dort in der Tiefe in dem großen Autoklaven abspielen musste. Ich war nie ein Freund dieser totalen Kontrolle gewesen, alles wird simuliert und analysiert und dennoch reicht die Intelligenz der Systeme nicht aus, um zu erklären. "Er wird ein Ergebnis finden, das wird für uns falsch sein oder zumindest nicht den Tatsachen entsprechen, die wir erwarten, und du weißt, was das bedeutet!" Steven zuckte mit den Schultern. Ich sah ihm in die Augen, und wir dachten das gleiche. Weil es mir bewusst wurde, ließ ich den Blick an seiner blauen Montur herab gleiten. Meine Augen hefteten sich an seine Kennung, während meine Gedanken in alle Richtungen eilten. LASO - Labor für angewandte Selbstorganisation - ich nahm die Begriffe in meine Gedanken auf: "Steven!" Ich erschrak, dass ich ihn so anders mit seinem Namen ansprach. "Steven, uns bleibt keine Wahl! Wir müssen ihn wieder anschalten! DEM ist dort immer noch!" - Wesen unseres Schlages waren ständig mit einem Sein - oder - Nichtsein konfrontiert. Wir waren theoretisch mit unseren Systemen schon unzählige Tode gestorben. "Er hat das gesamte Wasser aufgespalten, der Druck in der Kammer ist enorm, ganz zu schweigen von der Temperatur, und ich weiß, er denkt darüber nach, wie es seinen Stoffwechsel organisieren soll, er denkt, hörst Du! Das sind nicht DEMs primitive Bau-Bakterien, das ist keine Elementierung, das ist eine Masse, die zu einem Bewusstseinsträger wird, vielleicht herrscht da unten schon eine Intelligenz der völlig anderen Art!" - "Und woher soll das Bewusstsein kommen!" - "Woher, woher, von außen! Woher kommt denn Dein Bewusstsein, etwa von Dir!? - Es ist DEM"! Ratlosigkeit vor einem unausweichlichen Ende sprach aus seinem Gesicht. "Wenn das so ist, wie du sagst, wird er richtig denken. Wir schalten jetzt an!" Ich hatte das Gefühl der großen Ruhe, das sind diese Augenblicke der erweiterten Erkenntnis. Ich bekam die Gewissheit, eines guten Ausgangs. "Los, schalt an, lassen wir uns überraschen! - Steven hatte sich auf seinen Sessel gesetzt und blickte in die Kennung, er hatte das Gefühl, schon außer sich sein, als wolle er von allem befreit werden. Er formulierte die Kombination und schaltete an.

Was auch immer sich in der Tiefe vor dieser kleinen Insel vollziehen mochte, ich hatte das aufwallende Gefühl einer starken Verbundenheit mit DEM, in die ich mich willentlich hineinziehen ließ. - Die Operatoren waren aus ihrer Starre erwacht und richteten sich wieder in ihren Sesseln ein. Zu eigenartig war ihr Verhalten, sie beobachteten die Abläufe als ob nichts geschehen war, eigenartige Wesen - ich habe mich nie mit dergleichen anfreunden können, sie waren mir einfach zu mechanistisch, obwohl - ihre Kommunikation funktionierte hervorragend.
"Er saugt den Ozean leer, er verbraucht ungeheure Energien!" Ich vernahm Stevens Worte wie durch eine Wand. "Wir hoch ist die Temperatur?" Meine Frage kam mir absonderlich vor, weil die Werte nicht mehr gemessen, sondern errechnet wurden und ohnehin nicht mehr zu verstehen waren, sie lagen in der Nähe des absoluten Hitzepunktes. "Er verändert sich rasend schnell", flüsterte Steven, "und die Temperatur steigt weiter! Was passiert, wenn er den Hitzepunkt erreicht?!" - "Nichts", dachte ich laut, absolut nichts, ich nehme an, er wird nicht mehr da sein!"
"Wo ist er dann?" - "So kannst du nicht die Frage stellen," hörte ich mich wieder, als ob etwas anderes aus mir sprach, "er ist einfach ein Energiepotential und etwas Licht!" Ich stand hinter Steven. Er drehte sich in seinem Sessel herum und blickte mich lange an: "Licht?" - "Ja Licht, reines Licht, es hat keine Quelle, es ist in sich gekrümmt, sein Anfang ist gleichzeitig sein Ende und seine Energie ist dann unendlich!" "Und wie groß ist er?" - "Er ist weder groß noch klein, er hat noch keine Dimension, weil er sich an nichts anderem messen kann! Er kommt aus der Zeit." - "Und wie lange existiert er?" Stevens letzte Frage kam mir eigentümlich langsam zu Bewusstsein, ich hatte das Empfinden in einen Stillstand zu geraten, für einen Augenblick versagten meine Gedanken, und als ich antwortete, wusste ich: Es ist vorbei!
Steven sprang aus seinem Sessel. Die Operatoren verfielen wieder in ihre Fassungslosigkeit. Dieser Verlauf war nicht vorgesehen. Dann stellte sich unsere Wirklichkeit wieder her. Die Bildwand vom Autoklavenbunker zeigte keine Veränderung. Druck und Temperatur hatten sich programmgemäß stabilisiert. Der vorgesehene Prozess lief wieder an. ‚Nichts als eine Simulation' stand sofort in meinen Gedanken! Und etwas fehlte - ich wusste es, DEM hatte mich verlassen.

Als ich aus der Kühle des Labors in die weiche warme Nacht hinaustrat, sah ich den feuchten Boden im gelben Schein der Lampen. Es regnete ein wenig, ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Ich vergaß die Zeit als ich im Park spazieren ging und fand mich wieder in der Betrachtung meines Türschildes: "Institut für künstliches Bewusstsein", las ich halblaut, und die Bezeichnung irritierte mich. Ich empfand mich ganz und gar nicht als künstlich, keineswegs als simuliert, sondern als erschaffen, und während ich mich der Gegenwart meiner Umwelt stellte, übergab ich mich der Ausgeglichenheit des ihr innewohnenden Geistes.

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Photos von Bernhard van Riel


Familie Ellen & Simon Märkle

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