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Carlo         


DEM


              


XV. Teil, Zweitausendfünfhundert Meter Wasser

Die nachfolgende Geschichte ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit anderen Berichten oder Erzählungen ist rein zufällig. Gleiches gilt für die verwendeten Namen, Bezeichnungen, Techniken und geografischen Orte. - Texte und Bilder unterliegen dem Copyright


Das Zuschnappen der Kabelhalterungen weit vor der Außenhülle der San Borondón wurde langsam zur Routine. Dennoch gab es jedes Mal ein Aufatmen, wenn die Mikrofone der Tauchroboter den Knall mit vielen klickenden Echos registrierten. Kabel 1und Kabel 2 lagen bereits über Wasser. Kabel 1 saß fest in der Montageklammer. Der Greifer des Kugelkopfkrans hielt Kabel 2. Russische und spanische Techniker montierten die Enden im Kugelkopf. Eine Spezialeinheit setzte über. Sie würde die Glasfaserstränge mit der Aufnahmeeinheit verbinden. Die Schwenkpropeller der San Borondón liefen jetzt konstant, um das Gleichgewicht der Kugel zu halten.
Pjotr hatte Taucher 1 mit der Kamera von Taucher 2 auf dem Monitor. Taucher 1 zog sich an dem dritten Kabelstrang hoch, dessen Ende an der Kabelboje hing. Pjotr betrachtete die Lage des Kabels mit einem mulmigen Gefühl. Es lag zu dicht an der Ankertrosse! Der Operator führte das Bergungsseil 2 durch die Leithaken der Boje an die Ankertrosse und klinkte es ein. Er führte Bergungsseil 1 durch eine Talje an der Ankertrosse und dann zum Kopf der Boje in die Klemmverbindung, die mit lautem Schlag einschnappte. Vierhundert Meter höher zogen die Winschen auf dem Versorger die Bergungsseile Zentimeter für Zentimeter an. Die Arme des Tauchers griffen in die jetzt stramme Verbindung und lösten die Sicherung der schweren Anker-Kralle. Mit einem dumpfen Ächzen öffnete sich die Verbindung. Langsam stieg jetzt die mächtige Boje mit einem Gewicht von 60 Tonnen Kabel an der Führungstrosse zur ersten Montageposition an der unteren Kugelhälfte der San Borondón. Der Operator schob Taucher 2 mit Bedacht unter der Boje durch und drückte den Kabelstrang gegen die untere Kabelhalterung. Pjotr bemerkte die Störung sofort: "Halt, da stimmt etwas nicht, Auftrieb stoppen und Taucher 2 langsam zurück fahren!" Sekunden später stand das Kommando auf den Monitoren aller operativen Einheiten. Das Kabel saß fest!

Es hatte etwas aufgebrist. La Palma nahm vor der Morgendämmerung Konturen an. Unangenehme Kreuzseen aus Nordwest versprachen einen Wetterwechsel. Federico schaltete auf Konferenz. Als Kommandant des umgebauten Versorgers war er für das Heben der Kabel verantwortlich. Im Lab von Breña Alta auf der Insel La Palma nahm Ernesto die Kunde gelassen zur Kenntnis. Man war beschäftigt - die Systeme für die Kopplung mit der San Borondón waren hochgefahren, und gerade liefen die ersten Tests mit einem Kommunikationsrechner der San Borondón, sie entsprachen den Erwartungen! Miguel schreckte hoch. Er hatte unter der Brücke des Kutters in einem Haufen aus Netzen etwas geschlafen. Fabio fuhr aus seinem Steuerstuhl an die Decke. Der WalkieTalkie brüllte ihn an: "Der Fischkutter - gehen sie auf neue Position 193 Grad langsame Fahrt, sie bekommen ein Signal, wenn sie das Zielgebiet erreicht haben!"

Fabio trug in seinem Gemüt eine Schaltung, die Ereignisse dieser Art auf "Muss ich nicht verstehen" setzte. Er warf den Motor an. In der Nacht war der Kutter etwas nach Norden vertrieben. Bei 193 Grad machte Fabio an Backbord voraus den Versorger aus, und nach Steuerbord wölbte sich der Buckel eine gigantischen U-Bootes. Um den Turm krabbelten Menschen wie Ameisen. Von einer Andockplattform in Meereshöhe sah er eine Art Treppe, die über mehrere Ausweichstellen zum Turm führte. Leute kamen von oben und andere stiegen hinauf. Schlauchboote dümpelten in Lee des gewaltigen Rumpfes vor dem Anleger. Fabio schätzte die Höhe bis zum Turm auf 50 Meter über Wasser. Welche Ausmaße mochte der Rumpf unter Wasser haben, oder vielleicht war das überhaupt kein Boot, sondern eine künstliche Insel, oder wohlmöglich eine Unterwasserstadt? Er fühlte die Hand an seinem Arm. Miguel hatte Angst und fuchtelte mit einer Hand Bilder in die Luft.
"Eine Kugel, du meinst, das Ding da ist Teil einer Kugel." Fabio kannte die sonderbaren Fähigkeiten, mit denen Miguel ihn immer wieder konfrontierte. Miguel nickte und schwenkte die Arme. Wenn das eine Kugel sein sollte, war sie auf jeden Fall groß. "Möchte nur wissen, was wir damit zu tun haben", brummte er vor sich hin? Der Kutter lag jetzt unweit der Aktionszone. Fabio nahm die Maschine etwas zurück.

Pjotr reagierte verstimmt. Seine Taucher scheiterten bei 1.000 Meter Tiefe. Er hatte mit seiner Vermutung Recht, dass die Stabilisatoren der Boje ausgefallen waren, oder die Batterien waren von einem ständigen, unvorhergesehenen Arbeiten leer gelaufen. Folglich konnte die Boje sich drehen. Irgendwann war der Rundläufer mit dem Kabelschuh ausgefallen und wahrscheinlich hatte sich das Kabel um die Ankertrosse gewickelt, aber wo? Bei 1.000 Meter lief das Kabel immer noch parallel zur Ankertrosse. Nach den Planungen dürfte es in dieser Tiefe bereits abweichen. Man müsste die Boje drehen, aber in welche Richtung? Warum in aller Welt hatten diese Spanier kein Tieftauchgerät dabei?! Federico hatte sich gegen die Vorwürfe energisch verwahrt, sein Stolz wurde von diesem polternden Russen erheblich strapaziert, aber er war ratlos. Das nächste Gerät lag in Cadiz und die Service-Einheiten für den späteren Einsatz erwiesen sich als noch nicht einsatzbereit. "Dann fragt doch verdammt noch mal euren Fischer da oben, der wird vielleicht wissen, in welche Richtung eine Boje sich dreht!" Pjotr schlug auf die Taste und die Verbindung brach ab. Wenig später näherte sich der Fischkutter dem Verband.

"Der Fischkutter" knatterte es wieder aus dem Walkietalkie," wir wissen zwar nicht, wer sie sind und was sie hier sollen, aber schließlich sind sie abkommandiert und dann können sie auch was tun, also ihre Losung!?" Fabio starrte auf den Versorger, der haushoch etwa 50 Meter an Backbord über der Dünung hing. Da oben saß wohl dieser uniformierte Krake mit seiner Knatterstimme und peilte ihn an. "Wer bist du denn, etwa der Chef von diesem Klotz neben mir, lass mich mal hören, mit wem ich das zu tun habe!" Fabio lehnte sich zurück, es knackte: "Es gehen hier keine Namen über diese Verbindung, hier spricht der Kommandant und ich kann ihnen unsere Losung nicht so übermitteln. Sie haben sich gestern schon identifiziert, lassen sie uns zur Sache kommen. Wir haben ein Problem. Auf etwa 400 Meter unter uns hängt eine Ankertonne, an dieser wiederum ein Kabel, das wir an die San Borondón führen müssen. Wir vermuten, dass die Tonne sich gedreht hat und dabei das Kabel um die Ankertrosse herumgezogen hat. Unsere Tauchboote können nicht weiter als 1.000 Meter Tiefe erreichen, aber die Lösung des Problems liegt tiefer. Die Frage ist an sie als erfahrenen Schiffsführer: Ich welche Richtung dreht sich eine Tonne, rechts oder links? Wir müssen das ziemlich sicher wissen, weil wir keinen Fehler bei einer Rückdrehung der Tonne machen dürfen! Over!" Fabio zog das Boot zurück, er war dem Versorger schon bedenklich nahe gekommen. Die abgeschmetterte Dünung schwappte an Deck. Miguel griff nach seinem Arm und gestikulierte. "San Borondón", ging ihm eine Gedanke quer, "das Ding da ist wohl San Borondón, ziemliche Ähnlichkeit, muss ich sagen. Hast du das gehört, die meinen uns!?" Er kippte aus seinem Steuerstuhl und hangelte sich an Deck. Das Gefühl vieler Augen da oben ärgerte und beunruhigte ihn. Das war doch eine absolut blöde Frage - oder nicht. Hier oben würde er auf rechtsdrehend tippen, aber da unten, und wieso dreht sie sich nicht zurück? Er sank und stieg mit der Dünung, auf der sich jetzt Wellen bildeten. Bei dem Wetter müsste er längst wieder in Tazacorte sein. Verdammter Mist, dieses San Borondón, er würde noch in Schlechtwetter kommen. Er spürte die fragenden Blicke oben von der Brücke des Versorgers. Miguel stand auf der Reling am Heckträger. Seine Sinne waren weit in die Tiefe geglitten.

Der Wind hatte nach rechts gedreht und zugenommen. Fabio klemmte sich ein und nahm kein Auge von Miguel. Er empfand die verfremdende Wandlung der Umgebung durch das Abwarten, er hatte sich in all den Jahren auf diesen andersartigen Menschen eingestimmt und ahnte, wie die Bilder in Miguels Bewusstsein eine Brücke zur Äußerung suchten, Bilder aus der Tiefe des Ozeans waren diesem Menschen zugänglich, aber nur schwerlich anderen Menschen vermittelbar. Es hatte dieser vielen Jahre bedurft, Miguels Dasein zu begreifen und zu verstehen, dass diese Andersartigkeit eine wohl wundersame Wahrnehmung der Welt verbarg, und er - Fabio - sah und fühlte mit Miguel. Hundert Meter weiter nach Backbord hingen die Trossen vom Ausleger des Versorgers in die Tiefe, irgendwo dort unten weilten die gemeinsamen Gedanken der beiden.

Der Walkietalkie knarrte. "Der Fischkutter, haben sie eine Antwort?" Fabio löste sich aus der Verklemmung. "Abwarten, wir haben es gleich. Stören sie uns nicht mit Fragen!" Fabio sah Miguel an, dessen weit aufgerissene Augen sich ihm zuwandten. Der Junge sprang an Deck und verdrehte den Körper nach unten, um wenig später nach oben zu schnellen und die hoch gestreckten Arme ineinander zu verschränken, so drehte er sich mehrmals um sich selbst. Fabio zählte mit, bis Miguel stehen blieb und die Arme fallen lies. Er jammerte wie immer, wenn er ein besonders intensives Erlebnis hatte und stakste zu Fabio. Er hängte sich an Fabios Arm und verharrte. "Der Fischkutter, was ist nun?" Es war wieder die Stimme des Kommandanten.

Federico traute seinen Ohren nicht. Um ihn auf der Brücke standen die verantwortlichen Ingenieure und Tauchexperten. Er schaltete auf Konferenz. .... " haben wir bei einer Tiefe von etwa 2.100 Metern den Knoten gefunden. Das Kabel ist in 17 Windungen linksdrehend um die Ankertrosse gewickelt. Wenn die Tonne jetzt mit festgesetztem Kabel entsprechend rechts zurückgedreht wird, könnte das Kabel frei hängen, das war´s von uns. Wir haben unseren Beitrag geleistet und fahren jetzt nach Tazacorte und euren Lautsprecher könnt ihr dort abholen!" Während er sprach hatte Fabio die Maschine angeworfen. Das Brummen hing noch im Leitstand des Versorgers, als der Kutter schon über die lange Dünung und gegen mittlerweile schwere Seen mit Kurs Nordnordost nach Tazacorte anlag.

In der folgenden Nacht registrierte Ernesto einen einwandfreien Datenverkehr auch über Kabel 3. Nach einer Woche Testbetrieb war die Rechner-Rechner-Kopplung zwischen Breña Alta und San Borondón perfekt. Reaktor 1 lief voll, Reaktor 2 und 3 hatten die Simulationen gut überstanden und waren startklar. Die Transport- und Montageeinheiten wurden abgekoppelt und Breña Alta übernahm die San Borondón. Acht Monate nach dem Verlassen der Montagebucht im Norden Russlands sank die San Borondón ihrem endgültigen Standort in 2.500 Meter Tiefe entgegen.

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Photos von Bernhard van Riel


Familie Ellen & Simon Märkle

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