Wir haben uns schon einmal mit ihm beschäftigt, vor genau einem Jahr, als wir die Eigenbewegung
der Sterne näher kennengelernt haben. Sein Durchmesser beträgt etwa 35Millionen Kilometer
und er ist der vierthellste Stern am Nachthimmel. Hell blinkend erkennt man ihn derzeit in Richtung
Westen am Abendhimmel, und nur der Planet Jupiter, der etwa auf gleicher Höhe, aber etwas weiter
südlich steht, ist derzeit noch etwas heller. Sein Name: Arkturus. Er ist der Hauptstern im Sternbild
BOOTES oder auch "Bärenhüter" genannt.
Daß dieser Stern vielleicht eine besondere Bedeutung haben könnte, mag bereits Edmund Halley
überlegt haben, als ihm vor nahezu 300 Jahren auffiel, wie Arkturus seine Himmelsposition
gegenüber 2000 Jahre alten Sternkarten deutlich verschoben hatte.
Mit der genauen Messung dieser Eigenbewegung der Sterne, sowie der Messung ihrer
Radialgeschwindigkeit, kannte man dann zu Beginn des vorigen Jahrhunderts die Raumbewegung
vieler heller Sterne, von denen sich einige in der Tat mit großer Geschwindigkeit bewegen. 100 Kilometer
pro Sekunde und mehr erreichen manche von ihnen. Keiner ist allerdings so hell wie Arkturus und fast
alle sind auch weiter entfernt als dieser. Und da die Sterne ja generell sehr weit weg sind, wird ihre
Bewegung am Himmelszelt mit bloßem Auge betrachtet - auch im Verlaufe eines Menschenlebens -
kaum auffällig.
Was hat es nun aber mit diesen "Hochgeschwindigkeitssternen" auf sich? Um die wahre
Raumbewegung eines Sterns genau bewerten zu können, braucht man neben der Eigenbewegung und
der Radialgeschwindigkeit auch eine zuverlässige Entfernungsbestimmung. Für die Beurteilung der
gemessenen Eigenbewegung eines Sterns am Nachthimmel macht es nämlich einen Unterschied, ob
dieser zum Beispiel 10 oder 100 Lichtjahre entfernt steht. Das ist genau wie mit einem Automobil,
das man aus großer oder geringer Entfernung fahren sieht: gleiche Geschwindigkeit vorausgesetzt,
scheint sich dieses in großer Entfernung nur langsam zu bewegen.
Genaue Entfernungsbestimmungen für einige 10000 Sterne gibt es allerdings erst seit dem Jahr 1997,
also gerade erst einmal seit 10 Jahren! Davor hatten viele Entfernungsbestimmungen eine Unsicherheit
von 100% - und nur für wenige ganz nahe Sterne waren diese Werte besser bekannt. Hierzu ein
Beispiel: wenn es von La Palma nach Deutschland etwa 3000 km sind, so könnte man aber auch
einen Wert von 6000 km messen, wenn die genauesten Meßmethoden immerhin einen Fehler von
100% haben. Ärgerlich wird es spätestens dann, wenn man von einem 4-Stunden Flug ausgeht,
dann aber - wegen der ungenauen Entfernung - praktisch doppelt so lange unterwegs ist.
Heute kennt man die Entfernungen vieler Sterne mit etwa 5% Genauigkeit, d.h. um im Bild zu
bleiben, die Entfernung oben genannter Strecke von 3000 km hätte jetzt nur noch eine
Unsicherheit von etwa 150 km.
Diese Präzision in der Entfernungsbestimmung der Sterne gibt es, wie gesagt, aber erst seit 10 Jahren.
Um so bemerkenswerter ist nun der Umstand, daß bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts
ein niederländischer Astronom dem Geheimnis des Bärenhüters einen gewaltigen Schritt auf den
Pelz rückte.
Jan Hendrik Oort war damals ein junger Doktorand, der sich dem Studium der "Schnelläufer",
wie man die Hochgeschwindigkeitssterne auch nannte, verschrieben hatte. Zu dieser Zeit gab es nur
für eher helle Sterne einigermaßen gut bestimmte Entfernungen, also auch nur mäßig gut bekannte
Raumbewegungen. Dennoch gelang Jan Oort - wie wir heute wissen - als erstem die bahnbrechende
Erkenntnis, daß es sich bei den von ihm untersuchten Schnelläufern um eine besondere Klasse von
Sternen handeln mußte. Genauso gut hätte man auch zu dem Schluß kommen können, daß einfach
alle Sterne unterschiedliche Raumbewegungen besitzen. Manche wären langsam, manche schnell,
und manche besonders schnell unterwegs. Jan Oort hingegen hielt aber die Schnelläufer für Objekte
"of probably different origin", wie er damals schrieb, d.h. für Objekte anderen Ursprungs.
"Na gut, seine Interpretation der Daten", wird sich man einer damals vielleicht gedacht haben. Für
nahezu zwei Jahrzehnte wurden Oort's Erkenntnisse praktisch nur "abgespeichert" und erhielten erst
im Jahre 1944 einen gewaltigen Schub, als der deutsche Astronom Walter Baade in der benachbarten
Andromedagalaxie die Existenz zweier Sternpopulationen entdeckte.
Walter Baade war 1931 nach Kalifornien ausgewandert, weil er dort weitaus bessere
Beobachtungsbedingungen vorfand, als an seinem Heimatinstitut in Hamburg. Auch waren die
Teleskope hier weitaus größer als in Deutschland, so daß man tiefer in den Raum blicken konnte.
Mit dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor begann dann 1941 auch für Amerika der Zweite Weltkrieg
und viele von Baade's Kollegen - so auch Edwin Hubble - wurden für Kriegsaufgaben eingesetzt. Als
Deutscher war Baade in dieser Zeit gewissermaßen interniert. In der Praxis bedeutete das aber, daß
er sich auf dem quasi verwaisten Mount Wilson Observatorium ganz um seine Forschung kümmern
konnte. Zudem hatten die Behörden an der amerikanischen Westküste große Bedenken vor weiteren
Angriffen der Japaner und so gab es für das in der Nähe gelegene Lichtermeer Los Angeles in jener Zeit
des Nachts Verdunkelungsvorschriften.
Das waren also bezüglich der Beobachtungsbedingungen geradezu paradiesische Verhältnisse
und Walter Baade verstand es diese "Chance" zu nutzen. Nacht für Nacht verbrachte er am
großen 2.5 Meter Mount Wilson Teleskop mit seinen Beobachtungen und machte stundenlange
Belichtungen von Andromeda und ihren beiden Begleitern (siehe Abbildung 1 vom Aug-2007).
Am Ende dieser astronomischen Anstrengungen stand die Erkenntnis, daß unsere Nachbargalaxie
aus zwei Sternpopulationen aufgebaut ist, und Walter Baade erinnerte sich sehr wohl, daß Jan Oort
gleiches für die heimatliche Milchstraße erhalten hatte.
Jetzt waren die Sternpopulationen "das Thema" und gipfelten Ende der 1950er Jahre in einer
Tagung, die Ordnung in das Schema bringen sollte. Leider trugen manch neuere Erkenntnisse
allerdings eher zur Verwirrung bei und so diskutierte man gleich fünf Populationsgruppen,
die "extreme Population I", die "ältere Population I", die "intermediäre Population II", usw.
Das mag vor allem jüngere Astronomen eher abgeschreckt haben. Jedenfalls wirkte vieles nicht
wirklich überzeugend und viel zu schematisch, oder, wie es ein Teilnehmer dieser Tagung später
beschrieb:
"We thought at the time the whole thing was in the air … [but] … we really did not know
what was going on at that point …"
Die Existenz der Sternpopulationen wollte niemand mehr bestreiten, aber von einem echten
Verständnis dieser war man nach wie vor noch weit entfernt…
Wieder vergingen 20 Jahre als 1983 eine Arbeit erschien, in der zwei junge Astronomen ihre
Ergebnisse von Sternzählungen der Milchstraße einer bestimmten Region auf der Südhalbkugel
vorstellten. Ihre Messungen ergaben, daß die Dichte der Sterne, sobald man das Band der
Milchstraße verließ, nicht schlagartig auf Null zurückging, sondern eher langsam abnahm, wie
wenn die Milchstraße aus zwei Komponenten aufgebaut wäre. Die eine, gut sichtbare und auch
dominante, Komponente war demnach fast ausschließlich auf eine flache Scheibe konzentriert,
die andere, wohl nur wenige Prozent ausmachende Komponente, sollte sich aber viel tiefer in
den Raum hinein verteilen.
Für diese Ergebnisse gab es aber zunächst viel Schelte von Teilen des "Establishments" und die
jungen Forscher mußten einiges aushalten, wenn sie an ihrer Arbeit festhalten wollten. Zum Glück
ließen sie sich aber nicht gleich einschüchtern, und bereits Ende der 1980er Jahre wurden ihre
Erkenntnisse von vielen Kollegen sehr ernst genommen.
Heute wissen wir, daß die hier vorgestellten beiden Komponenten der Milchstraße praktisch die
Wiederentdeckung der beiden von Jan Oort bereits in den 1920er Jahren propagierten
"Zweiklassen-Gesellschaft" der Sterne war.
In der Zwischenzeit hatte die Astrophysik aber gewaltig dazu gelernt. Zudem gab es jetzt auch
noch größere Teleskope und vor allem den Ersatz der Photoplatten durch moderne CCD
Detektoren mit 80% statt nur 1% Lichtausbeute. Die Entwicklungswege der Sterne - so wie
wir ihn für die Sonne bereits im letzten Jahr ausführlich skizziert haben - waren nun auch
weitestgehend verstanden und so wurde sehr schnell klar, daß man es bei Arkturus und
seinesgleichen mit extrem alten Sternen zu tun hatte.
Die beiden Sternpopulationen waren also alte und junge Sterne und die Schnelläufer alles andere
als schnell, sondern genau genommen langsam. Mit unserer Sonne gehören wir der Population I
an, gehören also zu der jungen Klasse von Objekten. Fast alle Sterne, die man mit bloßem Auge
am Nachthimmel sieht, gehören dazu. Wie eine Flüssigkeit in einer Wanne, die man in Bewegung
versetzt, bewegen sich diese mehr oder weniger einheitlich in derselben Richtung um das
Zentrum der Milchstraße. Mehr als 200 Kilometer pro Sekunde bewegen wir uns so mit unserem
Sonnensystem und brauchen dennoch etwa 200 Millionen Jahre für einen Umlauf um das
Milchstraßenzentrum.
Und was ist nun mit der Population II, den alten Sternen? Die laufen nicht auf Kreisbahnen um
die Milchstraße, sondern auf eher elliptischen Bahnen. Diese sind also ziemlich gestreckt und
die Population II Sterne nehmen daher auch nicht mit der gleichen Geschwindigkeit an der
allgemeinen Raumbewegung der vielen Population I Sterne teil. Das kann man mit Bahnreisenden
vergleichen, die jemanden an einer Bahnschranke stehen sehen. Bezogen auf die Bahnschranke,
beziehungsweise auf die Umgebung, ist die Person an der Bahnschranke praktisch unbeweglich.
Bezogen auf die Bahnreisenden aber mit einer großen Relativgeschwindigkeit "unterwegs". Es
kommt also immer auf den Standpunkt an. Solange man nicht wußte, daß die Sonne und all die
anderen Population I Sterne sehr schnell um das Milchstraßenzentrum laufen, hielt man die
eigentlich langsamen Population II Sterne für die "Schnelläufer". Heute wissen wir also, es ist
genau anders herum.
Wie haben nun bereits erwähnt, daß die Population II Sterne eine alte Population von Sternen
repräsentieren. Aber wie alt sind nun Sterne wie Arkturus? Die Antwort, die sich derzeit
abzeichnet, lautet: mindestens 12 Milliarden Jahre. Das reicht bereits sehr dicht an das Alter
des Universums, das derzeit mit etwa 14 Milliarden Jahren veranschlagt wird, heran. Das heißt
somit nichts anderes, als daß Arkturus und die Population II Sterne praktisch "unmittelbar" nach
dem Urknall auf der Bildfläche erschienen, also, die Geburt der Milchstraße "nur" wenige
hunderte Millionen Jahre nach dem Urknall stattgefunden haben sollte. Geht man also von
einem Alter von 14 Milliarden Jahren für das Universum aus, und läßt die Milchstraße nach
weiteren 500 Millionen Jahren entstehen, so hätte diese nicht weniger als 96% des Alters des
Universums.
Aber warum ist das nun ein Widerspruch zur hierarchischen Strukturbildung von Galaxien,
den wir im letzten Monat erwähnt hatten? Die meisten der hierzu relevanten Beobachtungen
stammen erst aus den letzten 10 Jahren und werden im nächsten Monat näher vorgestellt
werden.
Bis dahin, werfen Sie doch einmal abends Richtung Westen einen Blick auf Arkturus. Er ist
wie gesagt uralt und wird als jetziger Roter Riese astronomisch gesehen schon bald nicht
mehr da sein. Aber keine Sorge, es dauert schon noch einige Millionen Jahre, bis er zum
Weißen Zwerg wird…