Wenn Ihnen der Sternenhimmel einigermaßen vertraut ist, oder auch wenn Sie vielleicht nur den
Großen Wagen und den Orion kennen sollten, so wird es Ihnen zeitlebens nicht gelingen eine
Veränderung der relativen Positionen der Sterne am Firmament festzustellen. Kein Wunder also,
daß sich irgendwann einmal der Begriff der "Fixsterne" durchgesetzt hat. Aber wie fixiert man einen
Stern?
Natürlich nicht mit einem Lasso oder besonders stabilen Dübeln. Und auch mag heutzutage niemand
mehr glauben, daß es ein uns umspannendes Himmelsgewölbe gibt, das letztlich den Sternen den nötigen
Halt verleiht. Es kann daher im Grunde nur folgende Antwort geben: wenn sich die Sterne praktisch
nicht relativ zueinander bewegen, dann sind sie als Gemeinschaft alle auf demselben Weg, oder aber,
sie sind soweit von uns entfernt, daß eine Veränderung in ihren Positionen nicht auffällt.
Wir haben ja bereits gelernt, daß Sterne immer nur in Verbänden von mehreren tausend Objekten
gemeinsam entstehen (siehe Apr 2006). Sie könnten sich also tatsächlich am Himmel alle gemeinschaftlich
in eine vorgegebene Richtung bewegen. Aber warum findet man bei der großen Anzahl von Sternen nicht
wenigstens einen, der vielleicht doch eine etwas andere Richtung einschlägt? Die Tatsache, daß
dies scheinbar unmöglich ist, hat schon immer Anlaß zu der Vermutung gegeben, daß die Sterne
in der Tat sehr weit von uns entfernt sein müssen.
Nun trug es sich aber Anfang des 18. Jahrhunderts zu, daß dem berühmten Astronomen Edmund
Halley eine Ungereimtheit in der Position zweier sehr heller Sterne, nämlich Sirius und Arkturus, auffiel.
Mit Sirius haben wir uns ja bereits länger beschäftigt (siehe Jan 2006). Arkturus steht Sirius in der
Helligkeit kaum nach und ist jetzt - Anfang September - abends Richtung Westen der dominierende
Stern am Nachthimmel. (Derzeit allerdings nicht zu verwechseln mit dem Planeten Jupiter, der noch
um einiges heller ist und auch in Richtung Westen zu erkennen ist.) Über die Bedeutung von Arkturus
wird noch an anderer Stelle zu berichten sein.
Nun aber zurück zu Halley. Dieser hatte sich die Mühe gemacht, nahezu 2000 Jahre alte Sternkarten
von Timocharis, Hipparch, und Ptolemäus zu durchforsten, und dabei war ihm der helle Arkturus
aufgefallen, der auf den alten Karten nicht weniger als 33 Bogenminuten an einem anderen Ort zu finden
war, als jetzt im Jahre 1718.
Dazu sei kurz erwähnt, daß man den Himmel üblicherweise in 360 Grad einteilt. Ein Grad sodann in
60 Minuten, bzw. "Bogenminuten", wie man sagt. Und eine Bogenminute wiederum in 60 "Bogensekunden".
Die Bogensekunde - ein bereits sehr kleiner Abstand am Himmel - ist eine Einheit, die in der Astronomie
sehr häufig vorkommt.
Um Ihnen nun ein Gefühl dafür zu geben, was es mit den 33 Bogenminuten des Arkturus auf sich hat, so
sei erwähnt, daß der Durchmesser des Mondes am Himmel ziemlich genau diesem Wert entspricht.
Mit anderen Worten: wenn man den alten Sternkarten Vertrauen schenken wollte, so hieß die jetzt gemachte
Beobachtung von Halley nichts anderes, als daß Arkturus im Verlaufe von annähernd 2000 Jahren seine
Position am Himmel um eine ganze Vollmondbreite verändert haben mußte!
33 Bogenminuten sind 33 x 60 = 1980 Bogensekunden. Arkturus bewegte sich also über den Himmel
mit einer "Geschwindigkeit" von etwa 2000 Bogensekunden in annähernd 2000 Jahren, d.h. mit einer
Geschwindigkeit von 1 Bogensekunde pro Jahr. In jenem Jahr 1718 wurden die "Fixsterne" somit zur
Makulatur und der Begriff der "Eigenbewegung" der Sterne trat auf den Plan.
Eine stellare Eigenbewegung von einer Bogensekunde pro Jahr, das war ein meßbares Unterfangen mit den
- wenngleich noch recht bescheidenen - Teleskopen der damaligen Zeit. Wenn man nun also genaue
Positionsmessungen an den Sternen durchführte, so brauchte man im Grunde nur 5 oder 10 Jahre warten
und dann sollten sich - wenn Sirius und Arkturus keine Einzelfälle darstellten - auch bei anderen Sternen
kleine Eigenbewegungen abzeichnen.
So wurde sehr bald klar, daß doch sehr viele Sterne eine merkliche Eigenbewegung am Himmel besitzen.
Einige 100 kennen wir heute, die sich mit mehr als 1 Bogensekunde pro Jahr über den Himmel bewegen.
Der Spitzenreiter bringt es sogar auf das 10fache dieser Geschwindigkeit. Nur ist dieser von der Helligkeit ein
eher unscheinbares Objekt und da uns Erdenbewohnern auch nur ein bescheidenes Zeitfenster gegeben ist, so
wird praktisch niemand mit bloßem Auge im Verlauf seines Lebens eine merkliche Bewegung am Himmel
erkennen können.
Die Astronomie ist natürlich in ihrer Entwicklung beständig dabei mit immer präziseren Methoden den
Himmel genauer zu vermessen. Eine Bogensekunde ist mittlerweile ein gewaltiger Abstand geworden.
"Millibogensekunden" sind derzeit das Maß der Dinge geworden, also tausendstel einer Bogensekunde.
Doch auch das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Ehrgeizige Satellitenprojekte werden
bereits in den nächsten Jahren in den Bereich der Mikrobogensekunden-Positionsastronomie vordringen.
Um es noch einmal herauszustellen: eine Mikrobogensekunde, das ist nur noch der millionste Teil einer
Bogensekunde. Ein "Nichts" geradezu. Doch wenn mit dieser Genauigkeit gemessen werden kann,
dann offenbart sich, das - und wie könnte es im Grunde auch anders sein - alles, aber auch alles, am
Himmel in Bewegung ist.
Während in der Frühphase der Eigenbewegungsmessungen die Altvordern sich ihre Augen an
sogenannten Blinkkomparatoren verdarben, so haben heute schon längst Computer diese Aufgabe
übernommen.
Das "Spiel", das hier betrieben wird, ist ähnlich dem in Kreuzworträtselheften, wo
zwei praktisch gleich aussehende Bilder gegenüber gestellt werden und es dann Ihre Aufgabe ist,
die vorhandenen (absichtlich eingebauten) "Fehler" zu finden. Seit der Erfindung der Photographie,
saßen so nicht wenige Astronomen nicht nur Nacht für Nacht an ihren Teleskopen, sondern auch
Tag für Tag an eben besagten Blinkkomparatoren und verglichen zwei, meist einige Jahre auseinander
liegende, Aufnahmen der gleichen Himmelsregion auf ihre Unterschiede. Das war eine sicher aufregende,
aber auch nicht minder mühsame Tätigkeit und die größte Kritik aus heutiger Sicht ist die Frage der
Vollständigkeit beim Durchmustern der jeweiligen Himmelsfelder. Nicht selten wurde bis zur Erschöpfung
gearbeitet, und dann sah man gelegentlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr...
Durch die Erfindung der CCD Kameras, mit Ihrer ungleich höheren Lichtausbeute, war es aber in den
letzten Jahren ohnehin äußerst lukrativ geworden den Himmel neu zu vermessen.
Viele Nächte am 2.5m
Isaac Newton Teleskop auf dem Roque de los Muchachos werden zum Beispiel mit einer sogenannten
"Wide Field Camera", also einer digitalen Kamera, die große Himmelsareale in einer einzigen Aufnahme
erhält, zur Himmelsdurchmusterung benutzt.
Abbildung 1: Mosaikaufnahme mit der Wide Field Camera des 2.5 m Isaac Newton Teleskops auf dem
Roque de los Muchachos. Die einzelnen Aufnahmen besitzen die Größe der schwarzen Quadrate, die
man links oben und auch rechts unten erkennt. Im Computer werden sodann die einzelnen Belichtungen
zu der hier gezeigten Gesamtaufnahme zusammengesetzt.
(Aufnahme von Mike und Jonathan Irwin, Institute of Astronomy, Cambridge)
Hinzu kommt, daß heutzutage auch verstärkt in vielen verschiedenen Wellenlängenbereichen, vor allem im
infraroten Licht neue spannende Beobachtungen möglich sind. Die dabei anfallenden Datenmengen sind
natürlich gewaltig und kaum mehr von Hand zu bewältigen.
Die Wertschöpfung, die hier von modernen
Rechenmaschinen geleistet wird, kann kaum überbewertet werden, insbesondere auch deswegen nicht,
weil man jetzt zu ganz objektiven Kriterien kommt, was genau beobachtet wurde, also die oben erwähnte
Frage der Vollständigkeit. (Die Computer sind in diesen Fragen ja von Haus aus nicht voreingenommen,
allerdings auch immer nur so gut, wie der programmierende Astronom dessen Ideen und Methoden sie
letztlich umsetzen.)
Um Ihnen zum Schluß auch einen ganz praktischen Einblick in diese Art von Arbeit zu geben, sind in
Abbildung 2 mehrere winzige Himmelsausschnitte gezeigt, auf denen "sich einige Fehler eingeschlichen
haben".
Die Sterne, um die es hier geht, bewegen sich deswegen so schnell über den Himmel weil sie
zumeist sehr nahe sind. Weiter entfernt stehende Objekte verändern ihre Positionen nur um winzige
Beträge. Die hier über ihre hohe Eigenbewegung identifizierten Sterne, sind alles Neuentdeckungen aus
dem Jahr 2005 und befinden sich alle in unmittelbarer Nachbarschaft zur Sonne. Das heißt ganz konkret:
in den meisten Fällen weniger als 80 Lichtjahre und das ist für die meisten Astronomen sozusagen direkt
vor der Haustür. Und doch kennen wir von den in diesem Bereich etwa 10000 zu erwartenden Sternen
bis zum heutigen Tag noch nicht einmal die Hälfte!
Abbildung 2: Sterne großer Eigenbewegung in der solaren Nachbarschaft. Man erkennt hier insgesamt
3 x 7 = 21 Felder, also winzige Ausschnitte aus verschiedenen Himmelsregionen, die hier als photographische
Negative gezeigt sind. Jedes dieser Felder ist zweimal zu sehen. Links jeweils die alte Aufnahme und rechts
daneben die neuere. Die unten angefügten Jahreszahlen geben das genaue Datum. Eingekreist ist jeweils der
Stern, um den es geht, und der sich vor dem Hintergrund der anderen, meist viel weiter entfernt stehenden
Sterne, über den Himmel bewegt. Einige Aufnahmen, wie z.B. die ganz oben links, sind in Richtung der
Milchstraße gemacht worden. Da wird es, wie man sieht, durchaus ganz schön eng, und da haben dann auch
die diversen Computerprogramme bei der Suche nach neuen sich bewegenden Sterne gelegentlich ihre liebe Not.
In den drei Feldern der untersten Reihe habe ich übrigens die Kreise nachträglich ausradiert. Da dürfen Sie nun,
wenn Sie möchten, selber zum Forscher und Entdecker werden. Erkennen Sie jeweils den Stern mit der hohen
Eigenbewegung?
(aus: Lepine 2005, Astronomical Journal, Band 130, Seite 1247)