Wenn in den späten Nachmittagsstunden auf dem Roque de los Muchachos
die ersten Teleskope ihre Kuppeln öffnen, um die Spiegel der Außentemperatur
anzupassen und sie so auf die bevorstehenden Beobachtungen vorzubereiten,
so gibt es aber auch zwei Teleskope, die genau zu diesem Zeitpunkt ihren
Beobachtungsbetrieb stets beenden. Sterne werden ja bekanntlich immer in der Nacht
beobachtet, doch auch am Tag scheinen sie vom Himmel. ORION, zum Beispiel, ein
bekanntes Wintersternbild, steht im Sommer tagsüber am Himmel. Warum sehen
wir ihn dann nicht? Die Antwort ist bekannt: es ist die SONNE, die alles andere mit
ihrem Glanz überstrahlt.
Stellen Sie sich nun einen Astronomen vor, der einer Zivilisation von
Höhlenmenschen angehört. Diese leben seit tausenden von Jahren unter der Erde,
besitzen aber genügend Bücher, um sich über das Universum, die Galaxien
und Sterne zu informieren. Der Grund, des unterirdischen Daseins ist dieser
Zivilisation nicht mehr bekannt, und unser Astronom beschließt eines Tages, einen
Blick nach "draußen" zu werfen. Er klettert einen Stollen hoch, von dem er weiß,
daß er an dessen Ende hinter einer großen Tür die Oberfläche unseres Planeten
erreichen wird und er so die Chance auf einen Blick zum Sternenhimmel
hat. Der Zufall will es, daß der Astronom in den frühen Abendstunden sein
Ziel erreicht. Draußen bietet sich ihm eine prächtige Milchstraße, genau so, wie
er es in seinen Büchern schon hundert Mal gesehen hat, nur, jetzt ist sein Traum
Realität geworden. Vor lauter Begeisterung spürt er weder Kälte noch Wind,
und verfolgt mit großem Interesse den Wandel der Sternbilder. ORION ist
bereits aufgegangen, und auch der GROSSE HUND ist zu sehen. Jetzt müßten bald
der BÄRENHÜTER und der LÖWE kommen, und danach LEIER, ADLER und
SCHWAN…
Stundenlang blickt unser Astronom so zum Himmel, und sein Staunen kennt
keine Grenzen. Dann passiert jedoch etwas Merkwürdiges. Im Osten, dort wo er die
neuen Sterne stets aufgehen sieht, schimmert es insgesamt etwas heller. "Vielleicht ein
besonders heller Stern, den ich in meiner Liste übersehen haben könnte?" fragt sich
der Astronom. Er überprüft noch einmal seine Unterlagen, aber da ist nichts, was
die Beobachtungen erklären könnte. Die Strahlung aus Osten nimmt nun deutlich
zu. Von Minute zu Minute wird es immer heller. Sterne, die noch bis eben aus dieser
Richtung ihr Licht abstrahlten, verblassen scheinbar. Mehr und mehr wird der gesamte
Nachthimmel von dieser unheimlichen Strahlung erfaßt. Schließlich sind überhaupt keine
Sterne mehr zu sehen, nicht einmal Sirius, und bis auf das Rot im Osten ist der Himmel
faßt überall gleichmäßig blau geworden. "D A S kann doch kein Stern sein", denkt unser
Astronom. "Was geht da vor sich. Wenn das ein Stern sein soll…?", er traut sich nicht,
diesen Gedanken zu Ende zu führen, und er spürt eine gewaltige innere Anspannung.
Dann vergehen die Minuten. Mittlerweile ist auch die rötliche Farbe aus Osten weitestgehend
verschwunden. Es ist insgesamt noch heller geworden. Aber sonst ereignet sich zunächst
nichts.
Doch dann passiert es! Der Rand einer großen rotglühenden Kugel wird sichtbar.
In Sekunden schiebt sie sich merklich über den Horizont. Der Astronom spürt sogleich
ihre Strahlung auf seiner Haut. Immer stärker und immer greller wird dieses Licht,
so stark, daß seine Augen jetzt auch von seinem Anblick geblendet werden. Angst
macht sich breit. Unser Astronom verläßt den Schauplatz und flüchtet in seine Höhle.
Er beschließt fürs erste, die gewohnte Höhlenumgebung nicht mehr zu verlassen…
Natürlich werden Sie längst erraten haben, was unser Astronom da beobachtet hat,
nämlich einen "gewöhnlichen" Sonnenaufgang. Allein, die Wurzel seiner Höhlenzivilisation
bestand wohl darin, daß alle Informationen über eben diese Sonne ausgelöscht worden
waren. Das was er nun sah, muß ihm in der Tat einen gewaltigen Schrecken eingejagt haben.
Und es stimmt ja auch: ein Sonnenaufgang ist ein gewaltiges Naturschauspiel. Nur: das
gibt es jeden Tag "im Angebot", und nicht jeder von uns ist Frühaufsteher.
Ganz nüchtern betrachtet kann man natürlich auch den Standpunkt vertreten, daß da
lediglich ein normaler Stern - den wir gewohnt sind "SONNE" zu nennen - über den
Erdhorizont tritt, und daß die einzige Besonderheit darin besteht, daß dieses Objekt deutlich
näher ist, als all die anderen Sterne.
150 Millionen Kilometer sind es aber dennoch bis zur Sonne. Eine gewaltige Entfernung.
Versuchen Sie nicht sich das vorstellen, es wird ihnen nicht gelingen. Keiner kann das.
Auch die Geschwindigkeit des von der Sonne kommenden Lichts strapaziert mit ihren
300000 Kilometern pro Sekunde unsere Vorstellungskraft. Da unsere Erde einen Umfang
von 40000 Kilometern hat, kann so ein Lichtteilchen oder "Photon", wie man sagt, unseren
Planeten in einer Sekunde mehr als sieben Mal umrunden. Mit diesem Vergleich bekommen
wir so zumindest eine gewisse Hilfestellung, was Lichtgeschwindigkeit bedeutet. Und wir
können noch mehr tun: setzen wir nämlich die Entfernung der Sonne in Relation zur
Lichtgeschwindigkeit der sie verlassenden Photonen, so erhalten wir eine faßbare
Zahl für die Zeit, die es dauert, bis so ein Teilchen die Erde erreicht.
Wenn also die Sonne 150 Millionen Kilometer entfernt steht und die Lichtteilchen
jede Sekunde 300000 Kilometer zurücklegen, so erhalten wir nach
also etwas mehr als 8 Minuten, Kunde von der Sonne!
Hier haben wir auch ein typisches Beispiel für die Zusammenhänge in der Astronomie:
zwei sehr große Zahlen - die Entfernung zur Sonne und die Lichtgeschwindigkeit -
liefern uns durch ihre Verknüpfung eine kleine und somit gut faßbare Zahl, d.h. ein
wesentlich besseres Verständnis für die gewaltige Entfernung Erde-Sonne.
Doch wir lernen noch mehr: der Blick zur Sonne ist zwangsläufig auch immer der Blick
in die Raum-Zeit. Jeder Sonnenuntergang ist eigentlich immer schon vorbei, wenn wir ihn
sehen, denn das Licht der Sonne braucht ja 8 Minuten bis zu uns. Würde die Sonne
explodieren, wäre auch diese "Information" erst einmal 8 Minuten lang zu uns unterwegs.
Die großen Dimensionen des Weltraums werden auf diese Weise sehr elegant über die Zeiten,
die das Licht für ihre jeweilige Durchquerung benötigt, beschrieben. Bis zu den nächsten Sternen
braucht so das Licht bereits über 4 Jahre - eine Erkenntnis übrigens, die wir im Wesentlichen
wiederum Friedrich Wilhelm Bessel aus dem Jahr 1839 verdanken, jenem Astronomen, dem wir
schon im Zusammenhang mit den Weißen Zwergen begegnet sind (siehe Jan-2006).
Kein Sternenlicht hat uns also heute - im März 2006 - aus der Zeit nach 2002 erreicht. Das
kommt erst noch. Und es gibt natürlich Sterne, die viel weiter entfernt stehen. Da werden sehr
schnell Lichtlaufzeiten von Jahrtausenden, Jahrmillionen, oder gar Jahrmilliarden erreicht, und
wiederum werden wir mit unserer Vorstellungskraft sehr schnell allein gelassen…
Doch zurück zur Sonne. Die Beobachtungen, die auf dem Roque am Abend ihr Ende finden,
sind natürlich solche, die mit Sonnenteleskopen durchgeführt werden: dem schwedischen
Sonnenteleskop (SST) und dem niederländischen Dutch Open Teleskop (DOT). Denn im
Gegensatz zu den anderen Sternen, ist die Sonne prinzipiell nur tagsüber beobachtbar. Als
Konsequenz ihrer Dominanz am Himmel wurden die Begriffe "Tag" und "Nacht" ja überhaupt
erst eingeführt.
Die Sonne ist aber in der Tat nichts anderes als ein gewöhnlicher Stern, dessen Nähe jedoch viele
Details für die Erforschung zuläßt. Mit den tagsüber stattfindenden Sonnenbeobachtungen wird
so also auch die stellare Astronomie entscheidend gefördert. Daß der Weg zum Verständnis
der Sterne entscheidend über die Sonne geführt hat, werden wir in den nächsten Monaten noch
genauer verstehen lernen.
Abbildung 1: Die Sonnenteleskope auf dem Roque de los Muchachos. Rechts von der
markanten Kuppel des William Herschel Teleskops befindet sich das schwedische Sonnenteleskop
(SST), noch weiter rechts das niederländische Dutch Open Teleskop (DOT). Wegen der starken
Sonneneinstrahlung und der damit verbundenen Wärmebildung werden die Spiegel von
Sonnenteleskopen möglichst hoch über dem Erdboden aufgestellt.
Details zu den beiden Sonnenteleskopen findet man unter:http://www.solarphysics.kva.se
und http://dot.astro.uu.nl .