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Carlo, San Borondón

Landgang - Am Kamin


              

Die nachfolgende Geschichte ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit anderen Berichten oder Erzählungen ist rein zufällig. Gleiches gilt für die verwendeten Namen, Bezeichnungen, Techniken und geografischen Orte

Am Kamin

Der Mann hatte sich auf eine Bank gelegt und blickte mir etwas ungehalten - so schien es mir - entgegen: " Ich bin jetzt gerade zurück gekommen, und ich laufe garantiert nicht wieder los, nur weil du jetzt hier bist!" - "Nein, nein, das ist überhaupt nicht nötig, ich bin ganz zufällig hier, ich bin mit dem Boot gekommen, es liegt da unten im Hafen!" Ich wunderte mich nicht über den Wortwechsel, wir sprachen die gleiche Sprache. "Von woher kommst Du?" Ich zeigte nach Norden. Er sah mich lange und abwägend an. "Du tust mir leid, aber wenn du nun schon einmal hier bist, dann nimm diese Kamera und mach dir ein paar Erinnerungsbilder, du kannst gehen!" Er hielt mir ein kleines Gerät entgegen. Das Gespräch war beendet. Einen Augenblick lang stand ich unschlüssig mit dem kleinen Gerät in der Hand, dann zwang mich ein Gedanke den Weg hinab in den Park, und immer wieder fragte ich mich, warum ich nicht die Aussicht genossen hatte.
Der Weg schlängelte sich durch die Hügellandschaft eines gepflegten botanischen Gartens. Ich stand lange vor einem schlanken hoch aufragenden Baum, der über und über mit glockenartigen, weißgelblichen Blüten bedeckt war. Die kleine Kamera erwies sich als ein rätselhaftes Gebilde, und der Versuch, sie zu aktivieren endete kläglich. Ich zog an einer Lasche und entlud damit den Speicherfaden. Die feine Aufreihung kleinster Perlen veränderte im Sonnenlicht sofort ihre Struktur, und mir war bewusst, dass ich dieses Spiel verloren hatte. So war ich nicht verwundert, nach der nächsten Biegung des Weges auf den Ranger zu treffen. Er stand unter einem riesigen, breit ausladenden Baum, und aus einem Gefühlsgemisch von Unsicherheit und Ärger rief ich ihm zu, ob er denn wisse unter welchem Baum er stehe. " Ja", kam die Antwort, und ich beeilte mich, ihn zu ergänzen, "das ist ein Nussbaum!" Meine Bemühungen, mich als kompetent darzustellen, hatten etwas Lächerliches an sich. Da stand ein selbstsicherer Mann vor mir in einer Landschaft, deren Anblick mir immer unfassbarer erschien. Ich fand mich hier nicht zurecht und verlegen kam ich in seine Nähe. "Wir haben hier alle Arten von Nussbäumen - alle", betonte er! Selbstverständlich gab es hier alle Arten von Bäumen - meine Gedanken machten ein Sprung - er konnte sie beliebig entstehen lassen! Diese Vorstellung war mir angenehm, überhaupt nicht beunruhigend, vielleicht weil ich mich als Teil dieser Wirklichkeit empfand, die wie ein Geschenk auf mich zukam. Ich ließ den Ranger zurück und erreichte wieder die Straße. Seitdem ich auf den Bermudas lebte, waren mir absonderliche Geschichten geläufig und ich kramte aus meinem Gedächtnis Erzählungen hervor, die von einer seltsamen Insel namens San Borondón berichteten.

Kurzerhand wählte ich, der Straße nach Süden zu folgen. Sie zog sich in einiger Entfernung einen Hügel hinauf, und von dort hoffte ich, mir einen Überblick zu verschaffen. In einiger Entfernung bemerkte ich einen Menschen, der mir entgegenkam - in dieser Einsamkeit ein Ereignis! Wieder fiel mir auf, dass die Straße völlig unbelebt war, ich bemerkte auch in den Bäumen und Büschen kein anderes Leben, kein Vogel sang, keine Eidechse huschte, keine Ameise krabbelte über diesen sauberen Weg. Es war ein Mann, vermutete ich, auch er trug wie mir schien das übliche weiße Hemd in engen Hosen. Er war hochgewachsen und lachte mich unter einem Blondschopf aus leuchtend blauen Augen an. " Was machst du hier, das ist ja eine seltene Begebenheit, hier jemanden zu treffen?! " -
Völlig unvermittelt, ohne auf seine freundliche Frage einzugehen, platzte ich meine Gedanken mit einem "Ist das hier San Borondón?" hinaus und drehte mich einmal um mich selbst. Dann blickte ich ihn an. Eigentlich erwartete ich keine Antwort, sondern vielleicht eine überraschende Gegenfrage, aber nein, er lachte, und ich sehe sein etwas pfiffiges Gesicht noch immer deutlich vor mir: " San Borondón, wie kommst du denn auf die Idee, das ist doch eine Insel, warte mal!" Er kramte in einer Tasche und zog ein Papierpäckchen hervor. Sorgsam entfaltete er die Seiten, und meine Neugier wuchs zusehends. Eine Landkarte erschien zwischen seinen Händen. Geschickt faltete er die Oberfläche zu einem Ausschnitt, auf dem ich eine zerklüftete Küstenregion mit vielen vorgelagerten Inseln erkennen konnte. Buchten und Fjorde griffen in das Landesinnere. Diese Karte zeigte ein sehr scharfes Relief aus der Vogelperspektive in verhältnismäßig dunklen Tönen. Ich war verwundert, welche Fülle von Details zu erkennen war, es schien so als wachse der Blickpunkt einem entgegen. "So" sagte er und setze den Finger auf die Karte in der Nähe der Küste, "hier sind wir!" Langsam suchend glitt sein Finger an der Küstenlinie nach Norden, und dann hielt er inne: "Und das hier ist San Borondón!" Er hielt mir die Karte hin, und ich erkannte über seinem Finger eine nahezu kreisrunde Insel zur Hälfte eingebettet in die Küste, von der sie durch einen schmalen Sund getrennt war. "Das ist San Borondón", wiederholte er nachdrücklich. Das Bild grub sich in mein Gedächtnis. Ich vermochte mir die Größe der Insel im Vergleich zu der mutmaßlichen Entfernung von unserem Standort vorzustellen, sie war wohl recht groß.

Ich war mit meinen Gedanken nach Innen gewandert und bemerkte erst nach einer Weile, dass er die Karte zusammengefaltet hatte und im Begriff war, sie wieder in seiner Tasche zu stecken. Sein Gesicht war mir immer noch freundlich zugewandt, doch ich merkte, dass er weitergehen wollte. "Gibt es hier einen Ort in der Nähe?" Meine Frage erschien mir unangebracht, aber was sollte ich fragen, alles war wie selbstverständlich. "Ja, hinter dem Hügel, von dort komme ich gerade, geh nur..," vernahm ich ihn, als er bereits einige Schritte entfernt war.



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Karte von San Borondón



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