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Carlo         


DEM


              


XII. Teil, Puerto de Tazacorte

Die nachfolgende Geschichte ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit anderen Berichten oder Erzählungen ist rein zufällig. Gleiches gilt für die verwendeten Namen, Bezeichnungen, Techniken und geografischen Orte. - Texte und Bilder unterliegen dem Copyright


Fabio war Eigner eines 42 Fuß Kutters und fischte von Tazacorte aus. Er arbeitete schon seit Jahren mit dem langen Miguel zusammen, dem man nachsagte, er habe einen sechsten Sinn für Fische, nicht zuletzt, weil sein Aussehen an einen Meeresbewohner erinnerte. Miguell entstammte komplizierten Verirrungen und hatte sich schon in jungen Jahren von allen Vorgaben und Regeln in sein ureigenes Dasein verabschiedet, in eine Höhle, nahezu unerreichbar, einige hundert Meter über dem Meer. Lange Zeit galt er als verschollen und ward schließlich dem Vergessen anheim gegeben. Auch schenkte niemand Geschichten Beachtung, die von gespenstischen Umtrieben flüsterten, manchmal sogar laut, wenn wieder einmal Steine von der Höhe ziemlich weit hinaus in den Ozean sprangen.

Es geschah, als Fabio vor Jahren einmal Fisch anlandete. Ein zerzauster und zerlumpter Miguel strich an den Körben vorbei und schnappte sich eine Makrele. "Hehe, Du, das ist für den Händler, leg sie wieder zurück" erregte sich Fabio! Aber der Junge machte ihm Zeichen und würgte einige Laute hervor. Fabio hatte wenig Interesse an dieser Unterhaltung und ging weiter seiner Arbeit nach. Schließlich fuhr der Händler mit seinem Pickup vor. Miguel half ungefragt beim Aufladen der Körbe. Der Händler fuhr davon, und Miguel stand wieder an der Pier, blökte irgendwelche undefinierbaren Laute und hielt Fabio die Makrele entgegen. Fabio sortierte Leinen. Er versuchte das merkwürdige Gebaren zu übersehen, aber als Miguel trampelte und immer wieder mit der Makrele auf das Schiff deutete, winkte er ihn heran. Überraschend behände sprang der Junge an Bord und grinste. Er steckte die Makrele in eines der großen Netze und beschrieb mit den Armen weite Bögen. Dann fasste er sich an den Kopf und schüttelte sich. Er zeigte auf Fabio, er zeigte auf seine Augen und griff wieder die Makrele. Fabio spürte, dass der Junge nicht sprechen konnte. "Kannst du hören, was ich jetzt sage," fragte er in die weit geöffneten Augen des Jungen, wohl ahnend, dass Miguel auch taub sein würde. Der Junge schüttelte den Kopf.
An diesem Tag entstand zwischen dem Fischer und Miguel eine Verbindung, die Fabio nicht erklären konnte. Wenn der Junge an Bord war, brachten die Fänge das Boot fast zum Sinken. Fabio hatte eine Verständigung zu Miguel aufgebaut, die ihm Erstaunliches eröffnete. Offensichtlich hatte der Junge ein untrügliches Wissen über das Verhalten von Meeresbewohnern. Mal deutete er an" Heute gibt es keinen Fisch zu fangen", mal holte er Fabio mitten in der Nacht aus dem Bett, weil ein Fischschwarm auf dem Weg nach La Palma sei. Er selbst hatte es sich angewöhnt, unter dem Steuerstand zu schlafen. Zuweilen verschwand er des Nachts und war für mehrere Tage unsichtbar. Fabio hatte es aufgegeben, ohne den Jungen auszulaufen, weil die Fänge normal oder spärlich ausfielen. Er nutzte die Zeit für Reparaturen, und wenn Miguel wieder erschien, konnte er sicher sein, dass alles stimmte, das Wetter, der Mond, der Fang. So ging das jahrein, jahraus.

Der 23. März war nicht anders als viele andere Märztage. Ein schwacher Tiefausläufer drückte von Westen eine Regenfront vor sich her. Im Südwesten türmten sich die ersten abendlichen Wolkenberge über den Horizont. Das Schiff machte mit südwestlichem Kurs acht Knoten auf einer langen, nördlichen Dünung. Miguel starrte vom Deckshaus in die Weite. Er hatte eine unbekannte Empfindung in sich, und versuchte, seine Gefühle zu ordnen. Immer wieder schüttelte er heftig den Kopf und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. Schließlich grunzte Fabio ihn mit der ihnen eigenen Gebärdensprache an: Er solle endlich mit dem Theater aufhören, und wozu eigentlich heute so weit draußen fischen, das sei ja etwas ganz Neues?!

Im Süden bemerkte Fabio zwei Marine-Einheiten und machte ein Zeichen. Miguel gab zu verstehen, dass es sich um insgesamt 5 Einheiten handele, die unterwegs nach Nordwest seien. Ein Versorger, eine Fregatte, ein Torpedoboot und zwei Minenräumer, er habe das Bild von dem Verband gestern im Fernsehen bemerkt. Er empfand einen Zusammenhang zwischen den Schiffen und seinen sonderbaren Gefühlen, die sich auf etwas ihm unbekanntes Großes in der Tiefe des Meeres hin entwickelten. Nicht Fische, nicht Strömungen, nicht die Tiefen, nichts von dem, was er kannte, war mit diesem Empfinden in Einklang zu bringen. Er stöhnte auf und griff sich an den Kopf. Fabio schaltete die Positionslaternen an.

Als Miguel zu trampeln begann, ahnte Fabio, dass die Nacht wohl einige Überraschungen bereit halten würde. Er nahm die Fahrt aus dem Schiff und wartete auf einen ruhigen Augenblick. Miguel sollte ihm andeuten, welches Netz auszubringen war. Aber es kam nicht mehr dazu. Der Junge hatte sich aufgerichtet und ihn mit weit aufgerissenen Augen tonlos angeschrieen. Immer wieder fuhr seine Hand mit einem hackenden Zeigefinger aus dem Lampenschein hinaus der Tiefe zu. Fabio begriff, dass sich unter ihnen etwas aufhielt. Er warf den Fischfinder an. Das Gerät zeigte keine sinnvollen Echos. "Tiefer, tiefer!" gestikulierte Miguel. Fabio wurde unruhig. Er kramte eine Lotleine aus der Kiste, entriegelte die Rolle und warf das Lot überbord: Weiß - schwarz, weiß - schwarz, 100 Meter, weiß - schwarz, die Leine lief. Alte Geschichten von Unterwasservulkanen schossen ihm durch den Kopf - das ist doch alles verrückt! Er wollte gerade die Trommel bremsen, als der Zug aufhörte. Dreihundert Meter zeigte die Markierung. Schnell drehte er das Lot einige Meter hoch und lies es laufen - bis zur Markierung bei dreihundert Metern, und wieder erschlaffte die Leine! Die Gedanken überschlugen sich jetzt. Er drehte die Kurbel bis die 250-Meter-Marke erschien, dann belegte er das freie Ende, sprang zum Steuerstand und gab dem Boot einen Schub von etwa 50 Metern. Mit voller Kraft zurück brachte er es wieder zum Stillstand. Einen Augenblick lang wartetet er bis die Leine nachgezogen war und ließ erneut das Lot auslaufen. Bei 290 Metern hörte der Zug auf.

Miguels Augen ergriffen die Lotleine, die ein ratloser Fabio mit der Hand um die 290-Meter Marke hochhielt. Immer wieder ließ er das Lot aufsetzen - worauf wohl? Der Ruck in der Leine kam völlig unerwartet. Fabio reagierte zu langsam, und das rasende Seil schnitt ihm in die Handfläche. Dann ließ der Zug genau so schlagartig nach, und die Trommel rollte den Rest der Leine ab, bis Fabio sie stoppte. Er drehte die Kurbel, die Leine hing schlaff, er drehte und drehte bis das Ende hochkam. 150 Meter fehlten - das Lot war abgerissen! Miguel starrte über Bord in die Schwärze.

Fabio lehnte einige Minuten unschlüssig mit der Lottrommel in der Hand an der Reling. Er drehte sie umständlich aus der Halterung als habe er viel Zeit. Schließlich warf er die Trommel unter das Steuerhaus und kletterte nach oben in den Stand. Sein Blick streifte den Navigator - die Position, er würde sie sich merken müssen. Ein erster Regenschauer nahm die Sicht auf das ferne La Palma. "Ich verschwinde besser von hier", flüsterte er vor sich hin und brachte das Boot langsam gegen die Dünung nach Nordost Seine Hand schob sich auf den Gashebel und blieb erstarrt liegen. Explosionsartig knallte das Licht auf das Schiff. Aus der Regenwand schob sich der Bug der Fregatte langsam an ihnen vorbei. "Das Fischerboot, nehmen sie sofort die Fahrt raus und drehen sie bei!" Fabio reagierte ohne Zögern. Der Scheinwerfer hielt ihn im Griff. "Das Fischerboot, sie bleiben auf dieser Position. Wir werden ihnen einen Besuch abstatten!" Das Licht flutete für einen Augenblick die Wolken und erlosch. Mit Kampfbeleuchtung zog sich die Fregatte in den Regen zurück.

Miguel sprang aus der Dunkelheit auf die Brücke und fasste nach Fabios Arm. Fabio kannte diesen Griff des Jungen. Das war Angst. Und Fabio hatte bereits früher erfahren müssen, wie Miguel Gefahren vorausahnte. Lang und träge lief die Dünung unter dem Regen. Sie ahnten, dass einige größere Schiffe östlich beigedreht hatten. Ihre spärliche Beleuchtung war schwer zu erkennen. Wieder flammte ein Scheinwerfer auf und kam schnell näher. Ein Schlauchboot mit Marinetauchern schob sich längsseits. Fabio schaltete die Halogenlampen am Mast an. Der Scheinwerfer erlosch.
"Machen Sie die Beleuchtung sofort wieder aus!" Das nervös krächzende Megaphon traf an der Grenze der Zumutbarkeit auf Fabios Sinne. Unmittelbar fand er sich einer Begegnung ausgesetzt, die sich zu Treibstoff für seine Phantasie entwickelte, und mit der Kraft seines ungetrübten Selbstbewusstseins warf er ein schallendes Gelächter über die gummiverpackten Köpfe, stieg langsam aus dem Steuerstand zum Seegeländer und brüllte: "Haut ab hier, ihr stört! Und gleich kommt ein riesiger Fisch hoch, der wird euer Schlauchboot zersägen!"
Miguel hatte sich an Fabios Jacke festgekrallt und hing wie ein Schatten hinter ihm. "Ich fordere sie auf, das Licht abzuschalten, wir brauchen hier keine Zuschauer!" Die Stimme klang jetzt sachlich und ruhig. Fabios Empfinden änderte sich, er sah sich als Bestandteil eines Geschehens und gab Miguel das Zeichen, hoch zu entern und den Schalter umzulegen. Dunkle Nässe.
"Was machen sie hier draußen, sie fischen doch hier wohl nicht"!
"Das will ich Ihnen sagen"..... In Fabios Gedanken wirbelte ein Feuerwerk hoch, und dann explodierte der Einfall: Etwas verhalten aber sehr bedeutsam fügte er nach der Unterbrechung an... "wir warten auf San Borondón, und dann fischen wir!" Das Wasser schwappte zwischen den beiden Booten, die lange Dünung hob und senkte sie, es hatte etwas aufgebrist. "Der Mann neben Ihnen, was ist mit dem, weiß er, um was es hier geht?" - "Ja sicher, das ist Miguel, er ist ein Savant!" - " Ein was?" - Fabio hatte diesen Ausdruck von dem Arzt im medizinischen Zentrum in Los Llanos gehört, er hatte ihm erklärt, wie es um Miguel bestellt sei:" Na ja, ein Spezialist, er kann durch das Wasser sehen, er sieht, was da unten los ist!" Der Kommandant zog sich wieder in eine Minute des Schweigens zurück, murmelte etwas von einem völlig verrückten Auftrag und brachte unvermittelt hervor: "Das Losungswort!" - "Was?" Fabio war einen Augenblick lang irritiert, dann fasste er sich: "Habe ich doch gesagt, was soll das?" - "Ich will nur sicher gehen, sagen sie es!" - Na gut, wie war das noch, ja, ja - San Borondón!" Der Kommandant hatte offensichtlich Mühe, die Situation zu begreifen. "Und wie lautet genau ihr Auftrag?" - "Na, wir fischen, das habe ich ihnen doch schon gesagt, es kann ja auch mal sein, dass etwas über Bord geht, dann fischen wir eben danach....." - "Ist in Ordnung!" Aus einem Lautsprecher kam die Order: "Das Fischerboot, sie übernehmen jetzt eine Sprechfunk-Einheit, über die sie mit uns kommunizieren. Sie schalten sofort ihre Radioverbindung ab und geben keine Lichtsignale. Warten sie auf weitere Weisungen! Ende!" Aus dem Schlauchboot reichte jemand ein Funkgerät hoch. "Die Frequenz ist eingestellt, dass Gerät ist in Betrieb." Mechanisch griff Fabio nach dem Gerät. Der Kommandant salutierte. Einige Wortfetzen wie "Die haben aber wohl auch an alles gedacht...diese Russen!" erreichten Fabio im Aufbrausen der Außenborder, dann war das Schlauchboot verschwunden. Er ahnte den Weg in die Dunkelheit zu den anderen Einheiten und spürte den Griff Miguels um seinen Arm.

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Photos von Bernhard van Riel


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