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Carlo         


DEM


              


VIII. Teil Madrid

Die nachfolgende Geschichte ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit anderen Berichten oder Erzählungen ist rein zufällig. Gleiches gilt für die verwendeten Namen, Bezeichnungen, Techniken und geografischen Orte. - Texte und Bilder unterliegen dem Copyright


Alfonso sah sich in seinem Beinamen Zangón (fauler Kerl, Flegel) wieder einmal bestätigt.

Selten sah ihn jemand in der Öffentlichkeit, niemand konnte sagen, welcher Art seine Geschäfte waren und ob er sich überhaupt in den Niederungen des alltäglichen Broterwerbs bewegte. In der Tat hatte er sich als Drahtzieher ein omnipräsentes Verhalten angeeignet und signierte sich durch die informative Welt mit dem geheimnisumwitterten Kürzel AZ. Sein Einfluss fand Ansätze auf nahezu allen Gebieten über ein undurchsichtiges Netz von Abhängigen und solchen, die nicht in Abhängigkeit geraten wollten und sich gerade deshalb als willfährige Helfer wieder fanden. Dann hatten sie den Weg zur Umkehr verloren. Für Alfonso war das Zustandekommen extrem anspruchsvoller Projekte ein Lebenselixier. Einmal die Witterung aufgenommen, hielt ihn nichts mehr davon ab, sich irgendwann die Labsal des Erfolges zu kredenzen. Materieller Güter überdrüssig war er vor Jahren einer immanenten Neigung gefolgt, nicht etwa sich der wissenschaftlichen Suche nach Erkenntnis zu widmen, nein, das war ihm zu trivial und zu mühselig - er sah sich vielmehr als Wegbereiter des Wissens überhaupt. Er erfand das Weltbild der wissenden Erde und definierte sich zu ihrem Förderer. Keineswegs trat er als Protagonist seiner Ideen auf, vielmehr bewirkte er deren Entwicklung durch Einfluss nehmendes Handeln. Was dieser selbst gewählten Pflicht dienen konnte, verfolgte er mit Leidenschaft.

Eher von schmächtiger Statur legte Alfonso Wert auf sein Äußeres, obwohl er seine etwas strähnigen, schwarzen Haare einer bewussten Nachlässigkeit anheim gab, im Winde stets bemüht, mit fahriger Handbewegung eine Ordnung anzudeuten. Seine Gesichtszüge wirkten erst bei bewusstem Hinsehen hager, weil das Spiel seiner stetig wandernden Blicke aus sonderbar dunklen Augen jeden Betrachter zunächst fesselte. Er sicherte sich die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer mit wortlosen Bewegungen der Lippen, und sprach er schließlich, dann auch nur, wenn er sich der Stille sicher war, die seine leise Stimme brauchte. Zuweilen strich er dabei mit der Oberseite der abgeknickten Hand über einen sorgfältig gestutzten Moustache, immer eine Geste nach wenigen Worten weit reichender Bedeutung.

Der Wagen hatte die Calle Sagasta erreicht. Alfonso überflog die Spalten in der Morgenpresse auf dem Weg zur Universität. Er bevorzugte Orte dieser Art für seine Verabredungen. Er berührte eine Notiz, las an anderer Stelle weiter und kehrte wieder zurück: Computer leben doch!
"Fahren sie in die Calle de Albuquerque, ich will in die Buchhandlung."
Er schaltete das Mikro erst nach Augenblicken des Verharrens aus und folgte der Reaktion des Fahrers. Der Wagen bog nach rechts ab. Alfonso lehnte sich zurück und murmelte vor sich hin: "Da zeigt es sich wieder einmal, nur der Nichtsnutz hat einen offenen Geist!" Er kicherte leicht in sich hinein mit der aufkeimenden Ahnung, etwas Großem auf der Spur zu sein.

Das Tor öffnete sich unmittelbar vor dem Eintreffen der Limousine. Obwohl die Einfahrt für den großen Wagen sehr eng bemessen war, steuerte der Fahrer das Gefährt mit Routine zwischen die steinernen Torpfosten und hielt, abgepasst genau, an einer vorgesehenen Stelle der Durchfahrt in den so genannten Garten. Nur hier ließ sich die hintere Wagentür vor einem zurückweichenden Hauseingang öffnen. Alfonso bedachte einen Augenblick lang seine Erscheinung und gab dann die Verriegelung frei. Er legte Wert auf eine gedämpfte Beleuchtung der Eingangshalle, der Buchhändler erwartete ihn. Als Japaner mit Tradition pflegte er einen guten Stil, ein Gebaren, dass Alfonso genoss. Man begrüßte sich durch leichtes Nicken.

" Ich brauche Details!" Alfonso hatte sich die ersten Ergebnisse der Recherchen zeigen lassen. Die Investigationswege des Buchhändlers führten zu unglaublichen Erkenntnissen, zu einem Netz von Akteuren, deren Forschungsgebiete außerhalb menschlicher Vorstellungskraft lagen. " Diesen Mann in Tucson haben wir bereits früher gescannt, er ist einer der Köpfe für selbst organisierende Experimente. Er arbeitet mit einem gewissen Ernesto in Los Alamos zusammen, sie versuchen dunkle Materie zu definieren."
Der Buchhändler zählte die Fakten auf als wären es Buchtitel "Die Fäden laufen aber in Boston zusammen, nur - hier ist alles abgeschottet, die Regierung hat bereits die Finger im Geschäft." - "Dieser Ernesto, wo ist der Mann einzuordnen?" Alfonso lehnte sich zurück, er erinnerte sich an einen Vortrag über neue Energieformen. War das nicht ein gewisser Ernesto gewesen, der sich wegen besserer Bedingungen nach Amerika abgesetzt hatte. Man hätte seinen Weg genauer verfolgen sollen. "Ernesto Medina Iroalo" - der Buchhändler machte eine Pause und ließ die weitere Suche über den Bildschirm laufen - " wir haben seine Daten hier: Er stammt von den Kanaren, gebürtiger Palmero, Physiker mit Abschluss der Universität von La Laguna, zwei Jahre Universidad Complutense de Madrid, Ciencias Físicas, Schwerpunkt Gravitation, Promotion in Deutschland, Max Planck Institut für Plasmaphysik..." - Alfonso unterbrach wie immer ,wenn er ungehalten wurde, mit einem lauten Räuspern. "Was macht der Mann heute?!" -
"Er erklärt Gravitation."

Der Buchhändler erhob sich und legte die Arme vor seiner Brust übereinander. In dieser Haltung verharrte er eine Weile und lies den Raum auf sich wirken, in dem er wallende Farben wahrnahm. Sie entstanden aus einer mentalen Übung, die seinem konzentrierten Denken vorausgingen. Die weit geöffneten Flügeltüren nahmen den Garten zu sich, ein Vogel sang, ein warmer Luftzug kündigte die Hitze des Tages an. Aus einer langen Zusammenarbeit der beiden so unterschiedlichen Menschen fand Entscheidendes mit Sprachlosigkeit seinen Weg zur Erkenntnis.

"Es ist an der Zeit, die Aufgabe zu stellen. Wir brauchen ein Gespräch mit der Señora und dem Taucher! Ich denke, ich höre bald von Ihnen! Lassen Sie den Wagen bitte vorfahren!" Alfonso strich sich mit dem Handrücken über die Oberlippe und wandte sich dem Garten zu. Er wartete auf die Geste des Buchhändlers zum Abschluss seines Besuches.

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Photos von Bernhard van Riel


Familie Ellen & Simon Märkle

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